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Title: Keine nachhaltige ökologische Transformation ohne bedingungslose soziale Sicherung aller Menschen

By: Ronald Blaschke

Release date: 12.07.2016

Download: DIB_BGE.pdf


Der Autor ist Mitbegründer des deutschen Netzwerks Grundeinkommen und seit Jahren Mitglied im Netzwerkrat, dem kollektiven Gremium, das die Belange der Mit­glieder zwischen den Mitgliederversammlungen vertritt.
Er ist außerdem Mitbegründer des Netzwerks Unconditional Basic Income Europe, Mitherausgeber mehrerer Publikationen zum Grundeinkommen und Verfasser zahlreicher Beiträge zu den Themen Armut, Grundeinkommen, Feminismus und Wachstumskritik.
Das Grundeinkommen ist eine Form der bedingungslosen Absicherung der Existenz und der Ermöglichung der gesellschaftlichen Teilhabe jedes einzelnen Menschen
Hinter der Idee des Grundeinkommens steht die Überzeugung, dass der Mensch ein Recht auf die bedingungslos gesicherte materielle Existenz und gesellschaftliche Teilhabe hat. Das Grundeinkommen ist eine monetäre Form dieser Absicherung. Die vier Kriterien, die die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens kennzeichnen, sind: Das Grundeinkommen soll

Neben dem Grundeinkommen sind auch nicht monetäre Formen der bedingungslosen Absicherung der materiellen Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe aller Menschen möglich: gebührenfreie Zugänge zu Gütern, Infrastruktur, Dienstleistungen. Sie können komplementär zum Grundeinkommen oder ohne ein Grundeinkommen eingeführt beziehungsweise ausgebaut werden.

Grundeinkommen – eine lange Geschichte


Das Grundeinkommen wurde 1796 von Thomas Spence begründet. Er verband es mit der (Re-)Vergemeinschaftung der gemeinsamen natürlichen Güter menschlichen Lebens, der Sicherung öffentlicher Infrastruktur und der Entwicklung der Demokratie, unter gleichberechtigter Einbeziehung der Frauen.
Im 19. Jahrhundert gab es in Europa mehrere Vorschläge für ein Grundeinkommen, so zum Beispiel von Victor Considerant, von belgischen Egalitaristen und von Joseph Charlier. Diese Vorschläge waren immer eingebettet in grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungsvorhaben wie die Entwicklung der Demokratie und einer kooperativen Ökonomie, die Gewährleistung politischer Freiheiten und sozialer Rechte oder die Verstaatlichung wichtiger Unternehmen. Bei diesen Vorschlägen handelt es sich aber nicht immer um volle, sondern teilweise nur um partielle Grundeinkommen. Das sind Grundeinkommen, die nicht die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe sichern (vgl. Blaschke 2016a).
Im 20. Jahrhundert weitete sich der Kreis der Vorschläge für Grundeinkommen oder partielle Grundeinkommen in Europa und in den USA enorm aus (zum Beispiel von Bertrand Russell, Dennis und Mabel Milner, Erich Fromm, Martin Luther King, Philippe van Parijs, Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt, André Gorz, Michael Opielka, Georg Vobruba, Claus Offe). Die Begründungen der Protagonist*innen für das Grundeinkommen sind sehr unterschiedlich. Bei fast allen sind die Grundeinkommensvorschläge eingebettet in weitere gesellschaftliche Veränderungsvorhaben.
Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt sich der Bezug der Grundeinkommensdebatte zu ökologischen und feministischen Fragen, so zum Beispiel in der grün-alternativen Diskussion in Deutschland Mitte der 1980er Jahre und der Kritik an der Industriegesellschaft (vgl. Schmid 1986; Opielka 1985). Zuvor hatte die unabhängige Erwerbslosenbewegung in Deutschland die Debatte über ein Existenzgeld genanntes Grundeinkommen, verbunden mit einer grundsätzlichen Lohnarbeits- und Herrschaftskritik, entfacht (vgl. BAG der Sozialhilfeinitiativen 2000).

Grundeinkommen – Kritik an bestehenden Herrschaftsverhältnissen in Ökonomie, Staat und Partner*innenschaft


Die Grundsätze, die hinter der Idee des Grundeinkommens stehen und eine Kritik an herrschaftlichen Prinzipien bisheriger Gesellschaften und bisheriger Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens einschließen, lauten: Niemand muss etwas gegen seinen*ihren Willen tun oder sich für etwas wegen materieller Not zur Verfügung stellen, was er*sie nicht möchte – ob auf dem Arbeitsmarkt oder in der Partner*innenschaft. Darüber hinaus: Jeder Mensch hat das Recht, sich angst- und erpressungsfrei an der demokratischen Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten inklusive der Wirtschaft und an der Gestaltung des partnerschaftlichen Zusammenlebens zu beteiligen. Zur Verwirklichung dieser Grundsätze ist die Freiheit von materieller Not erforderlich – als bedingungslose materielle Absicherung. Denn bedingte (oder gänzlich fehlende) Absicherungen öffnen Not und Elend, Armut, Ausgrenzung, Willkür und Abhängigkeiten vom Staat und von Partner*innen sowie Stigmatisierungen und Diskriminierungen Tür und Tor.
Grundeinkommensbewegung heterogen und vernetzt – international, national, regional
Die Grundeinkommensbewegung ist so heterogen wie andere soziale Bewegungen auch. Sie umfasst Libertäre, Sozialist*innen, Kommunist*innen, Feminist*innen, Wachstumskritiker*innen, Globalisierungskritiker*innen, Gewerkschafter*innen, Selbstständige, Erwerbslose, Unternehmer*innen wie Vertreter*innen solidarisch- ökonomischer Kooperationen, Wissenschaftler*innen, nicht religiös wie konfessionell Gebundene, Parteilose wie Parteimitglieder. Eine seriöse quantifizierende Aussage über deren Zusammensetzung oder über deren Verortung in bestimmten sozialen Schichten ist derzeit nicht möglich.
Organisiert sind Grundeinkommensbefürworter*innen weltweit im Basic Income Earth Network (BIEN, gegründet 1986), auf europäischer Ebene im Unconditional Basic Income Europe (UBIE, gegründet 2014), in nationalen, regionalen und lokalen Netzwerken und Initiativen sowie in überregionalen Organisationen und Verbänden, die sich für das Grundeinkommen einsetzen. Das größte Netzwerk in Deutschland ist das Netzwerk Grundeinkommen (seit 2004) mit derzeit 119 größeren Mitgliedsorganisationen und kleineren Regionalinitiativen und über 4300 Einzelmitgliedern. Es ist auch das größte nationale Grundeinkommensnetzwerk der Welt. Das Netzwerk Grundeinkommen ist Partnerorganisation von BIEN. Es ist Mitglied von UBIE, von Attac Deutschland und des Netzwerks Care Revolution. Aber auch einige große Verbände (zum Beispiel Katholische Arbeitnehmer-Bewegung, auch Mitglied im Netzwerk Grundeinkommen) und aktive kleinere Gruppierungen (zum Beispiel: Attac-Arbeitsgruppe Genug für alle, Gewerkschafterdialog Grundeinkommen, Labournet, Initiative Freiheit statt Vollbeschäftigung) prägen die inhaltliche Grundeinkommensdebatte in Deutschland, ebenso einzelne Personen (zum Beispiel Adelheid Biesecker, Ronald Blaschke, Katja Kipping, Michael Opielka, Werner Rätz, Antje Schrupp, Götz Werner, Gabriele Winker). Einfluss auf die Debatten haben auch die Zusammenschlüsse beziehungsweise Netzwerke zum Grundeinkommen in der Partei DIE LINKE und in der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Festzuhalten ist: Es gibt nicht „die“ Grundeinkommensbewegung, so wie es auch nicht „das“ Grundeinkommenskonzept gibt. Es gibt auch nicht „die“ Degrowth-Bewegung, so wie es auch nicht „das“ Degrowth-Konzept gibt. Aber es gibt in beiden Bewegungen, sofern sich deren Träger*innen einem emanzipatorischen Ziel verpflichtet fühlen1 , übereinstimmende beziehungsweise ähnliche Ansätze, die für gemeinsames politisches Engagement fruchtbar sein können.
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1 Es gibt (markt-)liberale und konservative Ziele, die mit partiellen Grundeinkommen oder mit der Wachstumskritik verbunden werden können, die aber in den jeweiligen Bewegungen keine Basis haben. Für das Grundeinkommen in neoliberaler Absicht steht zum Beispiel das Konzept von Thomas Straubhaar, das sich an dem partiellen Grundeinkommensansatz von Milton Friedman orientiert. Für einen konservativ bis neoliberalen wachstumskritischen Ansatz steht Meinhard Miegel. Die konkrete Ausgestaltung des jeweiligen Grundeinkommenskonzepts wie auch seine Verbindung mit weiteren angestrebten gesellschaftlichen Veränderungen geben Auskunft darüber, ob eine emanzipatorische oder eine (markt-)liberale/konservative Absicht verfolgt wird (vgl. Blaschke 2012: 41-58)

Die Grundeinkommensbewegung in Deutschland ist aktiv in anderen sozialen Bewegungen, auch in der Degrowth-Bewegung
Die Grundeinkommensbewegung in Deutschland engagiert sich mit Demonstrationen, öffentlichen politischen Aktionen, Bildungs- und Diskussionsangeboten, politischer Lobbyarbeit sowie (populär-)wissenschaftlichen Konferenzen und Publikationen.
Grundeinkommensbefürworter*innen in Deutschland beteiligen sich an Diskussionen, Konferenzen und Aktionen der globalisierungskritischen, feministischen, solidarökonomischen und wachstumskritischen Bewegungen, der Bewegung für globale soziale Rechte, der Bewegung für mehr plebiszitäre Demokratie, der Erwerbslosenbewegung und der gewerkschaftlichen Basisbewegung für das Grundeinkommen – sowohl in Europa also auch in Deutschland.
Ein Beispiel ist die Mitwirkung an der Erarbeitung des „Manifestes der Bürgerinnen und Bürger für europäische Demokratie, Solidarität und Gleichheit”, das von European Alternatives und anderen sozialen Bewegungen in die öffentliche Debatte in Europa eingebracht wurde. Es enthält konkrete Vorschläge für politische Veränderungen in der Europäischen Union, die europäische Bürger*innen in einem partizipativen Bottom-up-Prozess erarbeitet und den Abgeordneten des Europäischen Parlaments im Dezember 2013 in Brüssel vorgestellt haben. Dazu gehört auch der Vorschlag eines Grundeinkommens – neben Forderungen nach dem Recht auf hochwertige Bildung für alle, einem Mindestlohn, der Gemeinwohlbindung des Bankensektors, der Einführung einer Finanztransaktionssteuer, der Bekämpfung von Steuerflucht, der Demokratisierung der EU auf allen Ebenen, dem Schutz von Gemeingütern, einer Energiewende und dem Verbot schädlicher Chemikalien, der Durchsetzung von Frauenrechten und der Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen sowie der Rechte ethnischer Minderheiten. Ein weiteres Beispiel für gemeinsame Aktivitäten mit anderen sozialen Bewegungen ist die Mitorganisation der Aktions- und Gründungskonferenz des Netzwerks Care Revolution und einer internationalen feministischen Arbeitstagung zum Thema „Feministische und postpatriarchale Ansprüche an das Grundeinkommen“ im Jahr 2014.
Zum Teil sind Grundeinkommensaktivist*innen in Arbeits- und Koordinierungsgremien der genannten anderen sozialen Bewegungen aktiv, Aktivist*innen aus diesen wiederum in der Grundeinkommensbewegung.
Auch im Rahmen der nationalen und internationalen Degrowth-Bewegung ist die deutsche Grundeinkommensbewegung engagiert, insbesondere seit dem Kongress Jenseits des Wachstums?! Ökologische Gerechtigkeit. Soziale Rechte. Gutes Leben im Jahr 2011 in Berlin und der Degrowth-Konferenz im Jahr 2014 in Leipzig. Die Zusammenarbeit mit der Degrowth-Bewegung erfolgt durch Mitarbeit in Organisationsgremien bis hin zu gemeinsamen Publikationen sowie Bildungs- und Diskussionsangeboten. Beispiele hierfür sind die Beteiligung an den Aktionen und Diskussionen der Konferenzen in Berlin und Leipzig, am Group-Assembly-Process auf der Degrowth-Konferenz in Leipzig sowie an der Publikation zur Wachstumswende (vgl. Woynowski u. a. 2012). Im Mai 2016 wurde auf einer europaweiten Konferenz in Hamburg das gegenseitige Verständnis in einem partizipatorischen Prozess zum Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen und Degrowth“ vertieft. Inhaltliche Schnittmengen der wachstumskritischen und der Grundeinkommensbewegung wurden diskutiert (siehe unten). Der 16. BIEN-Kongress im Juli 2016 in Seoul, der die soziale und ökologische Transformation der Gesellschaft zum Thema hatte, griff Ergebnisse der Hamburger Konferenz auf.
Seitens der Grundeinkommensbewegung wird in diesen gemeinsamen Prozessen erstens die bedingungslose materielle Absicherung aller Menschen als unverzichtbare Voraussetzung für individuelle Freiheit und tatsächliche Solidarität, also eine Solidarität, die sich den Bedürfnissen und der Autonomiestärkung der Menschen verpflichtet fühlt, betont und für die jeweiligen Ansätze der anderen sozialen Bewegungen geltend gemacht. Zweitens werden Grundeinkommenskonzepte dahingehend geprüft, ob sie Anliegen der anderen sozialen Bewegungen befördern oder verhindern. Drittens wird darauf verwiesen, dass eine soziale, ökonomische, ökologische und kulturelle Transformation der Gesellschaft keine Ein-Thema-Veranstaltung ist, sondern verschiedene, sich befördernde Ansätze vereint und auch nötig macht. Ein Beispiel dafür ist die Identifizierung von inhaltlichen Schnittmengen zwischen Grundeinkommens- und Degrowth-Bewegung.

Inhaltliche Schnittmengen von Grundeinkommens- und Degrowth-Bewegung: soziale Sicherheit und Rückverteilung, Demokratie, alternative und solidarische Ökonomie, Zeitsouveränität


In vier Bereichen der beiden Bewegungen lassen sich übereinstimmende beziehungsweise ähnliche politische Ansätze ausmachen (vgl. Blaschke 2016b):
1. Soziale Sicherheit und Rückverteilung2 : Die Grundeinkommensbewegung geht davon aus, dass das Grundeinkommen Teil einer verlässlichen, präventiven und vor allem menschen­rechtskonformen sozialen Absicherung für alle ist. Das setze eine umfassende Rückverteilung des gesellschaftlichen Reichtums voraus. Dazu wird unter anderem ein ökologisches Grundeinkommen beziehungsweise ein Ökobonus (vgl. Schachtschneider 2014) als eigenständiges Grundeinkommen oder als Bestandteil der Finanzierung des Grundeinkommens diskutiert. Dabei handelt es sich um eine ausgleichende soziale Komponente beziehungsweise Rückverteilung, die durch eine Ökosteuer finanziert wird. In einigen in Deutschland diskutierten Grundeinkommensmodellen ist diese Komponente enthalten.
In der Degrowth-Bewegung geht man davon aus, dass ohne ausreichende und bedingungslose soziale Sicherheit für alle Mitglieder einer Gesellschaft kein gutes Leben für alle möglich ist. Existenzangst, Prekarisierung und soziale Spaltung blockieren wichtige Transformations­prozesse, auch ökologische.
Auch der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Armut im globalen Süden wird hier wie dort diskutiert. Insbesondere globalisierungskritische Teile der Grundeinkommensbewegung sehen ebenso wie die Degrowth-Bewegung einen Zusammenhang zwischen dem Wohlstand des globalen Nordens und der Armut des globalen Südens, nämlich als Folge des ökonomischen Imperialismus des globalen Nordens. Sie plädieren deshalb für eine alternative internationale Ökonomie und Arbeitsteilung sowie für die Rückverteilung an die armen Länder.
2. Demokratie: Die Grundeinkommensbewegung nimmt an, dass das Grundeinkommen die politische und demokratische Teilhabe des Menschen an allen öffentlich-politischen Angelegenheiten inklusive der Wirtschaft befördert. Denn mit der Anerkenntnis des Grundeinkommens als Transferleistung, die allen zusteht, werden erstens alle als gleiche Mitglieder des Gemeinwesens anerkannt. Und es ermöglicht zweitens allen die politische und demokratische Teilhabe ohne materielle Erpressbarkeit. Allerdings müsste ein Grundeinkommen auf demokratischem Weg eingeführt werden und die Einführung bedürfte einer hohen gesellschaftlichen Zustimmung.
Die Degrowth-Bewegung geht davon aus, dass die Transformation zu einer Gesellschaft, die bedeutend weniger natürliche Ressourcen verbraucht und die Umwelt nicht zerstört, nur auf demokratischem Weg möglich ist und dass nachhaltige Produktion und Konsumtion eine demokratische Organisation erfordern.
3. Alternative und solidarische Ökonomie: Insbesondere kapitalismuskritische Teile der Grundeinkommensbewegung diskutieren, wie jenseits des Profit- oder Konkurrenzprinzips produziert werden kann, wie Produktion und Distribution demokratisch und solidarisch gestaltet werden können, damit sie sich am Gemeinwohl und an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Soziale Sicherheit und individuelle Freiheit durch ein Grundeinkommen beförderten eine partizipative und demokratische Teilhabe und eine solidarische Grundeinstellung – auch in der Ökonomie. Außerdem ermögliche das Grundeinkommen die materielle Sicherheit und freie Zeit für den Aufbau und Aktivitäten im Bereich der alternativen beziehungsweise solidarischen Ökonomie.
Teile der Degrowth-Bewegung argumentieren, dass es – im Gegensatz zur profit- und konkurrenzgetriebenen Ökonomie – nur mit demokratischer und solidarischer Gestaltung von Produktion und Konsum, also im Rahmen solidarischer Ökonomie, möglich ist, übermäßigen Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung zu stoppen. Darüber hinaus wird die Notwendigkeit diskutiert, Zeit für verschiedene Formen der kooperativen Eigenarbeit im informellen, unbezahlten Sektor zu haben. Praktische Ansätze werden ausprobiert.
4. Individuelle und kollektive Zeitsouveränität: Die Grundeinkommensbewegung geht davon aus, dass das Grundeinkommen einen souveränen Umgang mit der eigenen und mit der kollektiven Arbeits- und Lebenszeit ermöglicht, weil die grundlegende Absicherung der Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe gegeben ist. Zeitsouveränität ist dabei quantitativ und qualitativ zu sehen: Quantitativ ist der Zeitumfang, zum Beispiel die Dauer der Erwerbsarbeit; qualitativ wird die Zeitsouveränität bestimmt im Hinblick auf die (Ziele der) Tätigkeit in der jeweiligen Zeit. Das Konzept der Zeitsouveränität ist also eng verbunden mit der sozialen Absicherung der Menschen, mit der Demokratiefrage und Ansätzen solidarischer Ökonomie – auch in ihrer jeweiligen geschlechterspezifischen Dimension.
Die Degrowth-Bewegung ist der Meinung, dass eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit und mehr verfügbare Zeit für andere Tätigkeiten ein Transformationsprojekt auf dem Wege zur Postwachstumsgesellschaft ist. Viele feministische Ansätze verbinden dabei die Zeitfrage mit der ökologischen und demokratischen Frage sowie mit der Umbewertung und Umverteilung von Arbeit. Ziel ist der sorgsame Umgang mit den natürlichen Grundlagen des Lebens, die Überwindung der derzeitigen Trennungsstruktur von bezahlter und unbezahlter Arbeit und die geschlechtergerechte Verteilung der Sorgearbeit (vgl. Biesecker/Wichterich/von Winterfeld 2012; Blaschke/Praetorius/Schrupp 2016).
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2 Rückverteilung bedeutet eine Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, der privat oder kollektiv in ausbeuterischer Praxis angeeignet wurde.

Bedingungslose materielle Absicherung und Stopp der Ausbeutung und Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen sind notwendig für eine sozial-ökologische Transformation
Die Vertreter*innen der Grundeinkommensbewegung weisen immer wieder in wachstumskritischen Diskussionen auf Folgendes hin: Es geht bei der sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft nicht um die Herstellung einer beliebigen Form sozialer Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit, die nicht die bedingungslose materielle Absicherung von Menschen einschließt, verfehlt humanistische und demokratische Prinzipien der Gestaltung von Gesellschaft und Zusammenleben. Eine nachhaltige ökologische Transformation der Gesellschaft in eine Gesellschaft mit bedeutend weniger Verbrauch natürlicher Ressourcen und ohne Umweltzerstörung kann weder auf dem Weg einer Diktatur noch durch existenzielle Erpressung des Menschen noch in einer sozial gespaltenen Gesellschaft gelingen. Andererseits ist für die Grundeinkommensbewegung die Anerkennung des folgenden wachstumskritischen Grundsatzes wichtig: Ein gutes Leben und die bedingungslose Absicherung der materiellen Existenz für alle ist mit Ausbeutung, Vernutzung und Zerstörung der natürlichen Grundlagen nicht nachhaltig zu sichern.
In einer globalisierten Welt können diese Prinzipien sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Vernunft politisch nur mit einer globalen sozialen Bewegung durchgesetzt werden, die beide genannten Aspekte berücksichtigt.
Eine emanzipatorische soziale Bewegung ist möglich
Als gemeinsames Ziel von Grundeinkommens- und anderen sozialen Bewegungen könnte die menschliche Emanzipation stehen: Emanzipation im Sinne der Selbstermächtigung von Menschen kann nicht auf Zwang, Gewalt und Herrschaft setzen. Sie muss auf Solidarität setzen, die die Bedürfnisse und die Autonomie des*der Einzelnen anerkennt – eine Autonomie, die die Abhängigkeit von anderen gleichwohl einschließt. Dasselbe solidarische Prinzip muss zwischen den einzelnen Ländern der Welt und zwischen Menschengruppen herrschen. Emanzipation setzt auf eine inklusive Demokratie, die keinen Menschen, keine Menschengruppe, kein Land ausschließt. Die undemokratischen globalen und kontinentalen Institutionen, die derzeit die Herrschaft über Ökonomie, Handel und das Soziale ausüben, müssen demokratisch legitimierten Gremien weichen. Das solidarische Verhältnis von Individuen, Menschengruppen und Ländern wiederum ist nicht ohne ein Verhältnis von Mensch und Natur denkbar, das den Menschen als Teil der Natur und die Natur als Grundlage menschlichen Lebens schlechthin begreift. Oder mit feministischen Worten verdeutlicht: Der sorgsame Umgang miteinander und der sorgsame Umgang des Menschen mit der Natur sind zwei Seiten einer Medaille.
Mit diesen Grundsätzen sind ökonomisch-imperiale, nationalistische und rassistische Bestrebungen, Naturausbeutung und -zerstörung, Frauendiskriminierung sowie physische und psychische Gewalt gegenüber Menschen abzulehnen.
Eine emanzipatorische soziale Bewegung wäre plural, aber diesen Grundsätzen verpflichtet. Sie würde Gemeinsamkeiten und für die jeweiligen (Teil-)Bewegungen annehmbare Lösungen suchen – alles andere würde sie schwächen. Es gibt keine simplen Lösungen für komplexe gesellschaftliche Probleme. Es gibt keinen nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel ohne unterschiedliche, aber einander befördernde Strategien. Das ist auch die Auffassung vieler Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, die die Grundeinkommensdebatte mit ihren Beiträgen vorangebracht haben, wie Erich Fromm, André Gorz, Robert und Edward Skidelsky, Naomi Klein, Adelheid Biesecker und viele andere mehr. Für sie ist das Grundeinkommen ein wichtiger Bestandteil eines Konzepts der sozial-ökologischen Transformation von Gesellschaft(en).

Links


> Netzwerk Grundeinkommen, unter anderem mit Glossar, Modellen, Geschichtlichem, FAQs, Literatur, aktuellen Nachrichten
> Konferenz Bedingungsloses Grundeinkommen und Degrowth, mit Texten, Videos und Fotos
> Wir brauchen ein bedingungsloses Grundeinkommen - gezeichneter Erklärfilm von Attac

Verwendete und weiterführende Literatur


Attac-Vorbereitungsgruppe des Kongresses 2011. Abschied vom Wachstumszwang – Aufbruch zum „guten Leben“ – Erklärung und Appell zum Kongress „Jenseits des Wachstums?! Ökologische Gerechtigkeit. Soziale Rechte. Gutes Leben“ (Kongress: 20. bis 22. Mai 2011, Berlin). Zugriff: 28.02.2016. <http://www.jenseits-des-wachstums.de/fileadmin/user_upload/Kampagnen/jenseits-des-wachstums/Textsammlung/Attac_VG_Erklärung_Jenseits-des-Wachstums.pdf>
BAG der Sozialhilfeinitiativen (Hrsg.) 2000. Existenzgeld für alle. Antworten auf die Krise des Sozialen. Neu-Ulm: AG SPAK Bücher.
Biesecker, Adelheid; Wichterich, Christa; von Winterfeld, Ute 2012. Feministische Perspektiven zum Themenbereich Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität (Hintergrundpapier zur Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag). Zugriff: 28.02.2016. <http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Biesecker_Wichterich_Winterfeld_2012_FeministischePerspe.pdf>
Blaschke, Ronald; Otto, Adeline; Schepers, Norbert (Hrsg.) 2010. Grundeinkommen. Geschichte – Modelle – Debatten. Berlin: Karl Dietz.
<https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Publ-Texte/Texte_67.pdf>
Blaschke, Ronald 2012. Von der Idee des Grundeinkommens zur politischen Bewegung in Europa – Entwicklung und Fragen. In: Grundeinkommen. Von der Idee zu einer europäischen politischen Bewegung. Blaschke, Ronald; Otto, Adeline; Schepers, Norbert (Hrsg.). Hamburg: VSA. 17-62. Zugriff 28.02.2016. <http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/VSA_Blaschke_ua_Grundeinkommen.pdf>
Blaschke, Ronald 2016a. GEschichte, Ein historischer Abriss über Vorschläge und Ideen zum Grundeinkommen. Zugriff: 28.02.2016. <http://www.grundeinkommen.de/die-idee/geschichte>
Blaschke, Ronald 2016b. Grundeinkommen und Degrowth – Wie passt das zusammen? Zugriff: 28.02.2016. <https://www.degrowth.info/de/2016/02/grundeinkommen-und-degrowth-wie-passt-das-zusammen>a>
Blaschke, Ronald; Praetorius, Ina; Schrupp, Antje (Hrsg.) 2016. Das Bedingungslose Grundeinkommen. Feministische und postpatriarchale Perspektiven (erscheint im Herbst 2016). Sulzbach/Taunus: Ulrike Helmer.
Gorz, André 2000. Arbeit zwischen Misere und Utopie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Opielka, Michael (Hrsg.) 1985. Die ökosoziale Frage. Entwürfe zum Sozialstaat. Frankfurt am Main: Fischer.
Schachtschneider, Ulrich 2014. Freiheit. Gleichheit. Gelassenheit. Mit dem ökologischen Grundeinkommen aus der Wachstumsfalle. München: oekom.
Schmid, Thomas (Hrsg.) 1986. Befreiung von falscher Arbeit. Thesen zum garantierten Mindesteinkommen (zweite, erweiterte Auflage). Berlin: Klaus Wagenbach.
Woynowski. Boris u. a. (Hrsg.) 2012. Wirtschaft ohne Wachstum?! Notwendigkeit und Ansätze einer Wachstumswende. Freiburg: Albert-Ludwigs-Universität.
Bild im Header: Gemeinsam für Bedingungsloses Grundeinkommen beim UBIE-Meeting (Unconditional Basic Income Europe, Hamburg Mai 2016) (Foto: CC BY-SA Glenn Slotte)

00 Degrowth in Bewegung(en)

01 Einleitung

02 15M – from an autonomous perspective

03 Anti-Kohle-Bewegung

04 Artivism

05 Attac

06 Buen Vivir

07 Care Revolution

08 Commons-Bewegung

09 Degrowth

10 Demonetarisierung

11 Ernährungssouveränität

12 Flucht- und migrationspolitische Bewegung

13 Freie-Software-Bewegung

14 FUTURZWEI

15 Gemeinwohl-Ökonomie

16 Gewerkschaften

17 Grundeinkommensbewegung

18 Jugendumweltbewegung

19 Klimagerechtigkeit

20 Offene Werkstätten

21 Ökodorf-Bewegung

22 Peoples Global Action

23 Plurale Ökonomik

24 Post-Development

25 Post-Extraktivismus

26 Queer-Feministische Ökonomiekritik

27 Radical ecological democracy

28 Recht auf Stadt

29 Solidarische Ökonomie

30 Tierrechtsbewegung

31 Transition-Initiativen

32 Umweltbewegung

33 Urban-Gardening-Bewegung

34 Abschlusskapitel