Dieser Text ist das Ergebnis eines Verständigungsprozesses. Während der Arbeit haben sich nicht nur der Text und die Inhalte, sondern auch die Autor*innen selbst verändert.
An diesem Transition-Prozess waren beteiligt: Gesa Maschkowski (
Bonn im Wandel), Redakteurin für nachhaltige Ernährungskultur, forscht als Doktorandin zu sozialen Bewegungen und Salutogenese und arbeitet als Transition-Trainerin, Moderatorin und Aktivistin; Stephanie Ristig-Bresser (
Transition Town Hannover), Kulturwissenschaftlerin M. A. und arbeitet als freiberufliche Publizistin und Dozentin sowie Projektkoordinatorin beim
Transition Netzwerk e. V., sie engagiert sich ebenso in der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung; Silvia Hable (
Transition Town Witzenhausen), tätig als Journalistin, Community-Organizer, Bildungsreferentin und Mutter, seit 2011 aktiv bei
Transition Town Witzenhausen, seit 2015 auch als Vorstand, von 2014 bis 2016 Vorstand beim
Transition Netzwerk e. V.; Norbert Rost (
Dresden im Wandel), Wirtschaftsinformatiker, leitet als Regionalentwickler das Projekt
Zukunftsstadt der sächsischen Landeshauptstadt Dresden; und Michael Schem (
Transition Town Bielefeld), promovierter Chemieingenieur, arbeitet in einer industriellen Entwicklungsabteilung und ist seit 2009 aktiv bei
Transition Town Bielefeld.
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„Einfach. Jetzt. Machen.“ – Überholte Paradigmen, Plan B und Selbstermächtigung zum Wandel
Transition bedeutet Übergang, Wandel oder auch Veränderung. Wir möchten die Erde als lebendiges System erhalten und pflegen, achtsam miteinander umgehen und die Ressourcen der Erde gerecht und fair miteinander teilen, heute und mit allen nachfolgenden Generationen. Diese Werte stammen aus der Permakultur, sie finden sich aber auch in vielen Gruppierungen der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung. Man könnte diese faire und achtsame Weltgesellschaft auch als Postwachstumsgesellschaft oder Degrowth-Gesellschaft bezeichnen.
Die Kernfrage, die sich Menschen in Transition-Initiativen weltweit stellen, lautet: Wie sehen unsere Straße, unser Dorf, unsere Stadt in der Zukunft aus, wenn sie kaum mehr fossile Rohstoffe brauchen, wenn es lebendige regionale Wirtschaftsstrukturen gibt und wir ein sinnvolles, gutes Leben führen? Und was können wir jetzt dafür tun, um diesen Übergangsprozess zu starten? Die Antworten und Wege sind so vielfältig wie die Menschen, die sich engagieren. Seit der Gründung der ersten Transition Town in Totnes 2005 ist ein buntes Portfolio an Projekten, Ideen und Methoden entstanden, ein Werkzeugkoffer des Wandels und ein Netzwerk, das viele Menschen inspiriert, ihnen Mut und Kraft gibt.
Irrtümer der Wachstums- und Informationsgesellschaft
Die Transition-Town-Bewegung hinterfragt zwei Paradigmen, die in unserer Gesellschaft immer noch lebendig sind:
- Wenn wir nur genug wachsen, dann bekommen auch die Unterprivilegierten dieser Welt etwas ab;
- wenn wir die Menschen nur genügend aufklären, dann werden sie sich schon irgendwann „richtig“, das heißt umweltfreundlich und nachhaltig verhalten.
Beide Annahmen haben sich als Irrtümer erwiesen. Die kapitalistische Wirtschaftspraxis verursacht Kollateralschäden im Umwelt- und Gesellschaftssystem: Klimawandel und Ressourcenschöpfung, soziale Ungleichheit, Würdelosigkeit und Entmenschlichung der Arbeitsverhältnisse sind ihre Symptome. Auch die Aufklärungs- und Bildungsbemühungen der vergangenen vierzig Jahre haben nicht den erhofften Lebensstilwandel in Gang gesetzt. Unterm Strich hat Deutschland seit 1990 weder seine Treibhausgasemissionen noch den Flächen- und Ressourcenverbrauch reduziert, wenn man die Produkte berücksichtigt, die für Deutschland in anderen Ländern dieser Erde produziert werden (Schrader u. a. 2013). Informations- und Aufklärungsbemühungen können sogar das Gegenteil bewirken, sie können Ablehnung, „Klimamüdigkeit“ (climate fatigue) oder sogar Umweltängste auslösen (vgl. Maschkowski 2015). Auch an Umweltaktivist*innen gehen die Hiobsbotschaften nicht spurlos vorbei: Viele fühlen sich macht- und hilflos angesichts der überwältigenden Herausforderungen. Solche Gefühle entscheiden maßgeblich darüber, ob Gesellschaftstransformation gelingt oder nicht: Wer engagiert sich schon, wenn sie oder er das Gefühl hat, „das Problem ist so groß, ich kann ohnehin nichts bewirken“?
Plan B zum Wachstumsmodell oder: Wie sähe die Zukunft aus, die wir uns wünschen?
Campaigning und Aufklärung haben nicht die notwendigen Veränderungen in Gang gesetzt, das erkannte auch der britische Permakulturdozent Rob Hopkins. Er setzte stattdessen auf die Kraft der positiven Vision. Im Jahr 2005 erarbeitete er gemeinsam mit seinen Student*innen einen Energie- und Kulturwendeplan für das irische Städtchen Kinsale. Wie sähe unser Bildungssystem aus, wenn wir im Jahr 2025 fast keine Rohstoffe mehr brauchen, wie unser Verkehrssystem, unser Gesundheitssystem, unser Ernährungssystem? Und welche Maßnahmen müssen wir heute schon ergreifen, um diese Vision umzusetzen? Hopkins und seine Student*innen setzten auf eine breite Beteiligung von Bürger*innen, Verwaltung und Politik. Schließlich wurde der „Energy Descent Action Plan“ von Kinsale mit großer Zustimmung von der Politik angenommen. Mit diesen Erfahrungen gründete Hopkins in Totnes, im Südwesten Englands, die erste Transition Town. Die Initiative begann ihre Ideen, Methoden und Prozesse zu dokumentieren, auf ihrer Webseite und in Büchern zu veröffentlichen und in Transition-Trainings weiterzugeben. Das britische
Transition Network wurde zur zentralen Anlauf- und Vernetzungsstelle.
Mittlerweile gibt es etwa 4000 Transition-Initiativen in fünfzig Ländern, in Deutschland sind es gut achtzig. Sie entstehen dort, wo Menschen von einer positiven Zukunft träumen, den Mut haben zu experimentieren und Fehler zu machen. Eine länderübergreifende Forschungsarbeit zeigt, dass Transition-Initiativen überwiegend in Städten gedeihen, in kleinen meist besser als in großen. Sie wachsen gut in „Mischkultur“, das heißt in guter Nachbarschaft mit anderen Initiativen des Wandels. Die Menschen, die mitmachen, sollten zahlreich und möglichst unterschiedlich sein. Transition- oder Permakultur-Know-how ist von Vorteil. Besonders erfolgreiche Initiativen verfügen in der Regel über zeitliche und finanzielle Ressourcen und haben einen Rechtsstatus (vgl. Feola/Nunes 2013).
Ziele der Transition-Bewegung
„Unser Ziel ist eine Gesellschaft, die die Menschenrechte der heutigen und der zukünftigen Generationen achtet, die wertschätzend und friedlich ist“, heißt es in der deutschen
Transition-Charta.
„Wir möchten genügsam und klimafreundlich leben, weniger abhängig von nicht erneuerbaren Rohstoffen und resilienter, das heißt widerstandsfähiger und anpassungsfähiger sein. Die Transition Bewegung möchte Menschen dafür begeistern, ermutigen und unterstützen, eine positive Zukunftsvision zu entwickeln und diesen Wandel selbst zu gestalten. Die Lösungen und Ideen zur Umsetzung der Vision sind vielfältig.“
Neben den Zielen enthält die Transition-Charta Werte und Arbeitsprinzipien, die die Basis der Transition-Arbeit bilden. Die Charta soll Orientierung bieten und einen Minimalkonsens, auf den sich alle Beteiligten leichten Herzens einigen können.
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Das Grundprinzip – Selbstermächtigung zum Handeln
Der Transition-Ansatz ist eine pragmatische Antwort auf ein Politikversagen. Hopkins brachte es in seinem zweiten Buch auf den Punkt:
Wenn wir auf die Regierungen warten, wird es zu spät und zu wenig sein, wenn wir alleine handeln, wird es zu wenig sein, aber wenn wir in Gemeinschaft handeln, dann könnte es gerade noch ausreichend und gerade noch rechtzeitig sein.
Hopkins 2011: 17; eigene Übersetzung
Es geht also um Selbstermächtigung im Sinne Gandhis: „Sei selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.“ Im Zentrum der Arbeit stehen die Unterstützung und der Aufbau von handlungsfähigen Gruppen. Trainings und Publikationen fördern die Gestaltungskompetenz und möchten Menschen ermächtigen, (wieder) mehr Einfluss auf ihr Lebensumfeld zu erlangen. Häufig ist es gerade dieser positive und pragmatische Ansatz, der Viele anzieht: „Es ist so erleichternd, zu sehen, wie die Last der Welt auf kleine machbare Schritte heruntergebrochen wird“, schrieb eine Besucherin bei der Premiere des Films „In Transition 2.0“ in Bonn. Bei vielen Transition-Projekten, bei den Gärten, in der Solidarischen Landwirtschaft, bei den Repair-Cafés oder bei Regionalwährungen, geht es um die Freude an einem Struktur- und Gesellschaftswandel, den man selbst gestaltet. Die Transition-Idee ist aber auch in der Lage, ganze Regionen zu bewegen, zum Beispiel im Rahmen des REconomy-Projektes (s. u.).
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Kennzeichen Vielfalt: Die Akteur*innen und ihre Themen
Die erste deutsche Transition Town entstand 2009 im Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin, kurz darauf folgte Bielefeld. 2010 fand die erste deutsche Transition-Konferenz in Hannover statt. Die Konferenz wird seitdem jährlich an wechselnden Standorten organisiert. Das Wachstum der Initiativen wurde maßgeblich durch Transition-Trainings gefördert. Der Mitgründer der Bielefelder Initiative Gerd Wessling begann parallel mit dem Aufbau eines Transition-Netzwerks. Im Jahr 2014 organisierte sich das Netzwerk neu und gründete einen Verein. Auch das deutsche Transition-Netzwerk hat sich vorgenommen, den Austausch der etwa achtzig Initiativen in Deutschland zu fördern und gemeinsame Projekte zu initiieren. So startete im Juni 2016 das Projekt „Aufbau eines Wissens-, Referent*innen und Multiplikator*innenpools
zu ökologischen, sozialen und ökonomischen kommunalen Wandelprozessen“ .
Die Akteur*innen, die sich in den Initiativen engagieren, sind sehr heterogen. Eine Befragung von Besucher*innen der dritten deutschen Transition-Town-Konferenz im Jahr 2012 zeigte, dass unter den Teilnehmer*innen alle Altersgruppen und weitgehend auch alle Einkommensgruppen vertreten waren. Das Bildungsniveau war allerdings überdurchschnittlich hoch (vgl. Maschkowski/Wanner 2014). Daraus schließen wir, dass die Initiator*innen in der Regel aus den mittleren sozialen Schichten kommen. Durch den Setting-Ansatz, das heißt die Arbeit im Stadtteil, erreichen die Initiativen aber auch andere Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel mit den Repair-Cafes, beim Gärtnern im Kiez oder mit dem Projekt nachhaltige Nachbarschaften. In Transition-Gruppen sind oft auch junge Familien beziehungsweise Elternteile mit ihren Kindern aktiv. So ergibt sich häufig von selbst ein Mehrgenerationenansatz, der von vielen Beteiligten als bereichernd wahrgenommen wird.
Wie in anderen Gruppierungen ist auch in Transition-Initiativen die Zeit der limitierende Faktor. Die meisten arbeiten ehrenamtlich. Auch wenn viele Akteur*innen in Zukunft weniger oder gar kein Geld mehr benötigen möchten, ist es so gut wie unmöglich, die notwendigen Infrastrukturen mit ehrenamtlicher Arbeit aufzubauen. In einigen wenigen Gruppen gibt es Honorarverträge oder feste Stellen. Dies kann allerdings auch zum Aufbau von unerwünschten Hierarchien führen oder die Motivation senken, sich ehrenamtlich zu engagieren. Auf Bundesebene sind erstmals zwei hauptamtliche Transition-Akteurinnen in einer bezahlten Anstellung beim Verein
Transition Netzwerk tätig.
Themen und Werkzeuge von Transition-Initiativen
Eine besondere Qualität der Transition-Bewegung ist, dass es keine ausgearbeitete Blaupause gibt. Die Projekte und Methoden stammen aus vielen Bewegungen und Erkenntnisbereichen. Die Transition-Initiativen haben weder das World-Café erfunden noch die Schenkökonomie, die Tiefenökologie oder das Repair-Café. Sie experimentieren damit und entwickeln sie weiter. Vor Ort geschieht genau das, was den Fähigkeiten der Menschen am ehesten entspricht, was sie am meisten bewegt oder was am dringendsten gebraucht wird. Dazu gehören:
- Projekte zur Verbesserung der Ernährungssouveränität wie Gemeinschaftsgärten, Solidarische Landwirtschaft, Lebensmittelkooperativen, Essbare-Stadt-Initiativen;
- Share- und Repair-Initiativen wie Leih- und Verschenkläden, Repair-Cafés, Fahrradwerkstätten, Upcycling-Projekte und Tauschringe;
- Projekte zur alternativen Mobilität und nachhaltigen Stadtplanung wie Lastenfahrradprojekte, der autofreie „Tag des guten Lebens“, alternative Stadtrundgänge, faire Stadtführungen, Transition-Stadtpläne;
- Gemeinschaftswohnprojekte und alternative Bauweisen wie Earthships, Strohballen- und Lehmbau;
- Projekte mit erneuerbaren Energien, zum Beispiel Solarkocher, Pyrolyse-Öfen oder Biomeiler;
- Bildungsprojekte und -angebote zur Nachhaltigkeit wie Re-Skilling, Workshops oder Wandelwochen;
- gemeindenahe Projekte wie das Betreiben von Kultur- und Nachbarschaftszentren, die Unterstützung und der Austausch zu Gesundheitsthemen und Pflegetätigkeiten sowie Nachbarschaftshilfe;
- Projekte zur Kultur des Wandels, zum Beispiel Transition-Storytelling, Transition-Theater und Gruppen, die sich mit Tiefenökologie, innerem Wandel oder der Psychologie der Veränderung beschäftigen.
Einige Transition-Projekte und -Formate haben eine überregionale Bedeutung:
- Transition-Handbücher und -Filme, die bewährte Tipps, Methoden und Beispiele aus der ganzen Welt weitergeben;
- Trainings und Fortbildungsangebote für Menschen, die Transition-Initiativen starten möchten oder bereits aktiv sind, zum Beispiel Werkzeuge des Wandels I und II;
- Transition-Streets-Projekte beziehungsweise Initiativen zur nachhaltigen Nachbarschaft, in denen Nachbar*innen mit Unterstützung ein Kursbuch zum nachhaltigen Leben durcharbeiten;
- REconomy, ein Konzept, das verschiedene Ansätze zur Restrukturierung der Ökonomie umfasst – wie etwa lokale Unternehmer*innenforen, bürgerschaftlich getragene Unternehmen oder Analysen zum wirtschaftlichen Potential einer re-lokalisierten Wirtschaft. Gute Beispiele sind der „Local Economic Blueprint“ für die Region Totnes, die Analyse zur Nahrungsmittelresilienz der Stadt Bristol („Who feeds Bristol?“) oder der Peak-Oil-Bericht der Universität Münster.
Bottom-up trifft Top-down
An manchen Orten gibt es eine fruchtbare Verbindung zwischen Transition-Initiativen und kommunalen Gremien. Akteur*innen aus Initiativen bringen ihr Know-how in Stadtentwicklungsprozesse ein, zum Beispiel als Moderator*innen (Marburg oder Eberswalde), als Berater*innen (Klimabeirat in Bonn) oder bei der Visionsfindung im Dresdener
Zukunftsstadt-Projekt. In Witzenhausen ist die Transition-Gruppe mit einer alternativen Liste zur Kommunalwahl angetreten. Sie vertritt nun mit zwei gewählten Vertreter*innen Transition-Interessen im Stadtparlament.
Degrowth ein Ziel – Transition ein Weg
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Degrowth- und Transition-Town-Bewegung geht von zwei Annahmen aus: erstens, dass es sich hierbei um zwei einigermaßen erkennbare und definierbare Gruppierungen handelt, und zweitens, dass man sie voneinander abgrenzen kann. Wir können uns weder der einen noch der anderen Annahme anschließen. Wir verstehen Degrowth als Appell, ein lebensfeindliches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu beenden und an Alternativen zu arbeiten. Auch ein „grünes Wachstum“ der Industrieländer zum Zwecke des Klimaschutzes ist aus unserer Sicht keine Lösung. Zentrale Fragen der Transition-Bewegung sind, wie sich dieser Gesellschaftswandel gestalten lässt, welche Bedingungen wir brauchen, damit wir diesen Weg gehen können, und welche neuen Formen der Ökonomie angemessen und lebenserhaltend sind. Ein guter Grund also für Transition-Aktive, sich an Degrowth-Veranstaltungen und -Debatten zu beteiligen. Vielleicht kann man Degrowth als eines von vielen Zielen einer Postwachstumsgesellschaft verstehen und Transition als einen von mehreren Werkzeugkoffern für den gesellschaftlichen Veränderungsprozess.
Entscheidend ist für uns, dass es immer mehr Menschen gibt, die versuchen, Gesellschaft neu zu denken und zu gestalten. Hier haben die Degrowth-Aktivist*innen mit ihrer Präsenz und ihren Aktivitäten Begegnungsmöglichkeiten und Plattformen mit großer Ausstrahlungskraft geschaffen. Das ist aus unserer Sicht eine gute Basis, um aus dem „Ihr“ und dem „Wir“ eine Gemeinschaft der Transformationsbewegungen zu bilden. So steht an dieser Stelle erst einmal der Dank dafür, dass die Degrowth-Bewegung eine Debatte über Transformation gestartet hat, die viele Menschen inspiriert und aktiviert.
Vernetzung als Zukunftschance von Degrowth und Transition Town
Der Erfahrungsaustausch zwischen den Initiativen, aber auch zwischen den Bewegungen kommt aus Kapazitätsgründen häufig zu kurz. Degrowth-Konferenzen und auch Transition-Netzwerktreffen sind gute Gelegenheiten, um diesen Austausch zu ermöglichen. Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Gründung des europäischen Graswurzelnetzwerks
Ecolise mit Unterstützung des britischen Transition-Netzwerks, der internationalen Ökodorfbewegung, der Permakulturbewegung und zahlreicher anderer Organisationen im Jahr 2014. Es soll Erfahrungsaustausch, Bildung, Forschung und Lobbyarbeit über die Bewegungen hinaus ermöglichen. Eine Zukunft der Bewegungen könnte in einem Zusammenwachsen der Netzwerke liegen.
Anregungen der Transition-Bewegung: Wachstum an den richtigen Stellen
Vom Ansatz her geht die Transition-Bewegung über eine Degrowth- oder Suffizienzperspektive hinaus. Wir fragen nicht nur, wie wir weniger verbrauchen können – wir fragen, welches Wirtschaftssystem langfristig den Bedürfnissen Aller dient, statt kurzfristig die Bedürfnisse Weniger zu befriedigen. In diese Diskussion gehört auch die Frage: Wir reich sind wir tatsächlich an sinnvoller Arbeit, Kreativität, Muße, Freiheit, Anerkennung und Mitbestimmung?
Wachstum der Fähigkeiten und (Lebens-)Qualitäten
Der Begriff Degrowth macht aus unserer Sicht nicht deutlich genug, dass wir in vielen Bereichen noch Wachstum brauchen, um „
die große Transformation“ gestalten zu können. Das betrifft sowohl Fähigkeiten als auch Qualitäten: Wir brauchen ein Wachstum an Mut, Vertrauen und Gestaltungsfähigkeit, an Mitwirkung, Empathie, Solidarität und Gemeinschaftssinn. Wir brauchen mehr und bessere Fähigkeiten der Selbstorganisation und Entscheidungsfindung. Es geht um mehr Sinn und mehr Nachhaltigkeit beim Leben und Arbeiten. Und nicht zuletzt: Die Bewegungen für Klimagerechtigkeit und Postwachstum brauchen mehr Menschen, Zeit und Ressourcen, damit sie auf langer Strecke durchhalten. Auch darüber ist eine gesellschaftliche Debatte nötig. Wie können die Fähigkeiten und Ressourcen für eine große Transformation wachsen?
Schwächen: Von den sozialen und psychischen Bedingungen des Wandels
In so manchen Degrowth- und auch Transition-Debatten kommen die kulturellen und psychologischen Dimensionen des Wandels zu kurz. Viele Veranstaltungen und Debatten setzen nach wie vor auf ein kognitives und hierarchisches Aufklärungsmodell: Degrowth- oder Transition-Expert*innen erklären den „Laien“ die Welt und was sie zu tun haben. Nachdem Letztere zugehört und vielleicht auch ein bisschen mitgeredet haben, gehen sie nach Hause und es passiert wieder nichts. Vierzig Jahre Umweltbildung, aber auch Gesundheits- und Transitionsforschung zeigen, dass dieses Aufklärungskonzept nicht verhaltenswirksam ist. Die große Transformation ist ein Prozess des (gemeinsamen) sozialen Lernens (vgl. Manzini 2009). Dieser Prozess braucht Befähigung statt Belehrung, braucht Empathie und Nachfragen, zum Beispiel: Was brauchen Menschen, damit sie das Gefühl haben, die große Transformation ist sinnvoll und machbar? Die Transition-Bewegung schöpft hier zumindest theoretisch aus dem Erfahrungsschatz der Umwelt- und Gesundheitspsychologie (vgl. Hopkins 2008). Eine Auseinandersetzung mit der Frage, welche sozialen und psychischen Voraussetzungen den Wandel ermöglichen und welche Methoden und Formate transformative Kraft entwickeln, würde nicht nur die Degrowth-Debatte bereichern.
Zusammen wachsen – Inspiration und Kooperation
Perspektivisch sehen wir viele Möglichkeiten, sich gemeinsam zu stärken, und wünschen uns diese Kooperationen. Hier lassen wir die individuellen Positionen sprechen, die sich in diesem Autor*innenkreis gefunden haben:
Gesa: Selbstermächtigung zu einem nachhaltigen Leben fängt im Lebensumfeld an, dort wo Menschen leben, arbeiten und lieben. Transition-Initiativen verstehen sich als Teil eines Netzwerks von aktiven Bewegungen, die vor Ort präsent sind und sich dort mit vielfältigen Aktionen und Projekten für den Wandel einsetzen. Ihre Stärke liegt in ihrem umfangreichen Methodenkoffer und vielen ermutigenden Praxisbeispielen. Eine große Bedeutung hat für mich der humanistische, personenzentrierte Ansatz der Transition-Bewegung: Veränderung geschieht durch Erfahrung in Beziehung. Das Potential der Bewegungen kann darin liegen, gemeinsam und auch mit ganz unterschiedlichen Zugangswegen Wandelprojekte anzuschieben.
Stephanie: Wenn wir die große Transformation schaffen wollen, dann geht das nur im Schulterschluss vieler Initiativen, vertrauens- und respektvoll – getragen von der Grundhaltung, dass wir alle einen wertvollen Beitrag zu diesem Wandel leisten und dass mal die eine, mal die andere Bewegung die Initiative ergreifen wird. Innerhalb der Bewegungen brauchen wir wertschätzende, von gegenseitigem Vertrauen geprägte Kommunikationsstile und Umgangsformen, mit denen wir das gute Leben, das wir uns wünschen, bereits vorleben und das alte und fest verankerte Denken – „Höher, schneller, weiter“, „Wer ist der Erste?“, „Wer hat den Lead?“ – abschütteln. Das ist eine große Aufgabe, zu deren Gelingen Transition-Werkzeuge sicherlich einen Beitrag leisten können. Experimentierfelder können große, weltumspannende Themen wie beispielsweise TTIP sein, wo wir gemeinsam an einem Strang ziehen und dadurch gesellschaftlich in der Breite wahrgenommen werden. So können unsere Vorschläge „durchsickern“ und wir können in der Folge auch mit anderen Aktionen und Projekten eine größere Aufmerksamkeit erzielen.
Silvia: Wir haben bereits Utopien schaffen können, die Mut machen. Sie zeigen, dass Veränderung (im Kleinen) möglich ist. Diese Erfahrungen sind übertragbar und wiederholbar und somit von größerer gesellschaftlicher Relevanz. Auch wenn die Transition-Bewegung vor allem mit konkreten Projekten wie Gärten, Reparatur, Nachbarschaftshilfe und Ähnlichem arbeitet, ist es nicht nur das „Was“, sondern vor allem das „Das“, das dazu ermutigt und inspiriert, für sämtliche Lebensbereiche und vor allem für das eigene Leben (wieder) Verantwortung und Gestaltungsmacht zu übernehmen! Dies befreit von einem diffusen Ohnmachtsgefühl, das auf Angst basiert und das Menschen in die Arme von Verschwörungstheoretiker*innen oder der neuen Rechten treibt, die mit den unerfüllten Sehnsüchten nach Überblick und Ordnung spielen.
Norbert: Die Kernfrage liegt insbesondere darin, wie man milieuübergreifend arbeiten kann. Wie erreicht man (auch) die Konsumtempler*innen, Postdocs, Sachbearbeiter*innen in der Wirtschaftsförderung, Radio-RTL-Hörer*innen, Nachbar*innen? Gelingt es, hier Brücken zu schlagen und Übersetzungsprozesse anzuregen, und gelingt dies auch auf der Meta-Ebene: zwischen den „emanzipatorischen“ Bewegungen.
Michael: Der BUND hat das Motto geprägt: „Weniger, besser, schöner.“ Wir müssen unsere Welt verändern, indem wir uns von unseren Konsumzwängen lösen und ein einfacheres Leben beginnen. Um eine große Öffentlichkeit zu erreichen, ist es dabei wichtig, nicht Verzicht zu predigen, sondern die Vorteile zu betonen. Hier ist Degrowth eine große Inspiration, die wir gerne mit dem Transition-Motto „Einfach. Jetzt. Machen.“ kombinieren möchten. Transition versucht Beispiele zu entwickeln und praktisch zu testen, die den Blick auf eine andere Welt öffnen, in der alle Menschen suffizienter leben und genießen.
Links
> Webseite der deutschen Transition-Initiativen
> Webseite der Transition-Trainer*innen
> Webseite des britischen Transition Network
> In Transition 2.0 – Dokumentarfilm
Verwendete und weiterführende Literatur
Hopkins, Rob 2008.
Energiewende. Das Handbuch: Anleitung für zukunftsfähige Lebensweisen. Frankfurt: Zweitausendeins.
Hopkins, Rob 2011.
The Transition Companion. Totnes: Green Books.
Hopkins, Rob 2014.
Einfach. Jetzt. Machen. Wie wir unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen. München: Oekom.
Hopkins, Rob 2015.
21 Stories of Transition. Totnes: Transition Network.
Feola, Giuseppe; Nunes, Richard J. 2013.
Failure and Success of Transition Initiatives: A Study of the International Replication of the Transition Movement (Research Note 4). Reading: Walker Institute for Climate System Research. Zugriff: 30.08.2016. <
http://www.walker-institute.ac.uk/publications/research_notes/WalkerInResNote4.pdf>
Manzini, Ezio 2009. A Social Learning Process – Promising Cases, Teachers, Students and Designers. In:
LOLA – Looking for Likely Alternatives. Jégou, Francois; Thoresen, Victoria; Manzini, Ezio (Hrsg.). Hamar/Elverum: Hedmark University College. 42-43. <
https://issuu.com/acunar/docs/lola_brochure>
Maschkowski, Gesa; Wanner, Matthias 2014. Die Transition-Town-Bewegung – Empowerment für die große Transformation?
pnd online 2/2014: 60-71. Zugriff: 30.08.2016. <
http://www.planung-neu-denken.de/content/view/297/41>
Maschkowski, Gesa 2015. Vom Verbraucher zum Change Agent: Impulse der Transition-Town-Bewegung für eine große Transformation aus salutogenetischer Perspektive. In:
Der verantwortungsvolle Verbraucher. Aspekte des ethischen, nachhaltigen und politischen Konsums (Beiträge zur Verbraucherforschung, Bd. 3). Bala Christian; Schuldzinski, Wolfgang (Hrsg.). Düsseldorf: Verbraucherzentrale. 19-39. <
http://www.vz-nrw.de/mediabig/236593A.pdf>
Schrader, Ulf; Liedtke, Christa; Lamla, Jörn; Arens-Azevêdo, Ulrike; Hagen, Kornelia; Jaquemoth, Mirjam; Kenning, Peter; Schmidt-Kessel, Martin; Strünck, Christoph 2013.
Verbraucherpolitik für nachhaltigen Konsum – Verbraucherpolitische Perspektiven für eine nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft (Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats Verbraucher- und Ernährungspolitik beim BMELV). Berlin: BMELV. Zugriff: 30.08.2016. <
https://www.aloenk.tu-berlin.de/fileadmin/fg165/Aktuelles/Stellungnahme_Nachhaltiger_Konsum_-_final.pdf>