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Degrowth in Bewegung(en)

Offene Werkstätten

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Title: Infrastrukturen teilen, gemeinsam nutzen und zusammen selber machen

By: Tom Hansing

Release date: 06.09.2016

Download: DIB_Offene-Werkstaetten.pdf


Offene Werkstätten sind seit Jahren „mein Thema“. Zunächst als Mitinitiator der offenen Siebdruckwerkstatt SDW-Neukölln,
dann als Gründungsmitglied des Verbunds Offener Werkstätten und seit 2010 als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung anstiftung, die Räume und Netzwerke des Selbermachens berät, vernetzt und erforscht. Es handelt sich im Folgenden um meine eigene Position.
Gemeinsam selber machen statt einsam konsumieren: Offene Werkstätten schaffen (Commons-basierte) Freiräume für Eigenarbeit und produktive Do-it-together-Kultur(en)
Das Kernanliegen von Offenen Werkstätten ist es, niederschwellig zugängliche Orte mit produktiver Infrastruktur aufzubauen und zu unterhalten. Diese stehen – frei von externen Verwertungsinteressen – allen zur Verfügung, die handwerklich, technisch oder künstlerisch in Eigenarbeit aktiv sein wollen. Sie sind unabhängige Freiräume für Eigeninitiative und selbständiges Arbeiten. Für Junge und Alte, Laien und (Halb-)Profis, Künstler*innen und Bastler*innen, Maker und Tüftler*innen, Einzelne und Gruppen. Statt asymmetrischer Lehrer*innen-Schüler*innen-Verhältnisse finden in Offenen Werkstätten ein freier Wissensaustausch und eine gegenseitige Befähigung auf Augenhöhe statt. Betreiber*innen und Nutzer*innen teilen Wissen und Materialien, Werkzeuge, Maschinen und Räume. Das ideale Werkstatt-Projekt verbindet – salopp gesagt – die produktiven Möglichkeiten einer Fabrik mit den Bildungsangeboten einer Universität und den Annehmlichkeiten und sozialen Bindekräften eines Cafés oder Nachbarschaftstreffs.

Freiraum zum Selbermachen als Gemeingut (re)kultivieren


Handwerkliches Tun und die Beschäftigung mit Materialien, Technik, Werkzeugen und Gerätschaften finden in der durchökonomisierten Lebenswelt moderner Gesellschaften kaum noch statt. In Schulen und anderen öffentlichen Bildungseinrichtungen ist die Nutzung von Werkstätten meist an Lehrinhalte gebunden und außerdem geknüpft an den jeweiligen Status als Schüler*in, Student*in oder Auszubildende*r, das heißt sie ist zeitlich begrenzt und findet nicht als Selbstzweck statt. Werkstätten von Fort- und Weiterbildungseinrichtungen sind an deren systeminhärente Zielsetzungen gebunden, nicht an die ihrer Nutzer*innen. Die meisten gewerblichen Werkstätten wiederum dienen der Produktion oder Reparatur von Gütern, sind marktökonomischen Effizienzansprüchen gemäß organisiert, befinden sich in privatem Eigentum und sind nicht als offene Infrastrukturen zugänglich. Freizeit-Mitmachwerkstätten fokussieren oft auf konkrete Werkstücke, also auf temporär begrenzte Nutzungen in angeleiteten, vordefinierten Kursen. Eine darüber hinausreichende Öffnung findet selten statt.
In urbanen Ballungszentren ist Raum generell ein knappes Gut. Selbermachen aber braucht Raum. Insbesondere wenn es weiter gefasst als gemeinschaftliche und selbstermächtigende Beschäftigung mit handwerklich-technischen, künstlerisch-gestalterischen Methoden, Techniken und Verfahren verstanden wird und sich nicht im (einsamen) Heimwerken in den eigenen vier Wänden erschöpfen soll.
Offene Werkstätten holen das Selbermachen aus Kellern und Garagen und schaffen selbstorganisierte Orte, in denen gemeinsam und kollaborativ gearbeitet werden kann. Selbermachen ist ein bewusster Akt. Offene Werkstätten bieten dafür den Freiraum. Hier können die Nutzer*innen nebenbei neu verhandeln, was der Mensch als Konsument*in und Verbraucher*in kann, soll und darf. Die Akteur*innen schaffen Gelegenheitsstrukturen zur Aneignung von Bildung in Eigenregie und zur Erprobung neuer Fertigkeiten, für die Verwirklichung individuelle Projekte ihrer Nutzer*innen und für die Schaffung von Allmendegütern, die von Peer-Communitys vorangetrieben werden. Insbesondere entsteht ein Freiraum für Austausch, gegenseitige Inspiration und Unterstützung. Dafür werden statt Geschäftsmodellen eher soziale und ökonomische „Betriebssysteme“ erprobt, die geldvermitteltes Tauschen langfristig durch Beitragen und gemeinschaftliches Kümmern ersetzen könnten. Die wirtschaftliche Tragfähigkeit des jeweiligen Projekts solidarisch zu erreichen, steht dabei vor dem Ziel, Gewinne zu erwirtschaften: Mehrwert für Viele, statt Profit für Wenige.

Gemeinsam selber machen – und die Welt verändern


Kann bei Offenen Werkstätten von einer Bewegung gesprochen werden? Ja und Nein. „Offene Werkstatt“ ist kein einheitliches Konzept, sondern eher ein „Gattungsbegriff“ mit vielen Unterarten und ein Phänomen, das in beachtlicher Varianz zutage tritt: von informell organisierten Gruppen über gemeinnützige Organisationen bis hin zu kommerziellen Unternehmen. Festhalten lässt sich, dass den neuen Formen des Teilens, Tauschens, Selbermachens und gemeinsam Nutzens systemveränderndes Potential bescheinigt werden kann, und Offene Werkstätten sind ein Teil dieses Neuen. Autor*innen wie Jeremy Rifkin gehen davon aus, dass die neuen Spielregeln der sogenannten collaborative oder Share-Economy die Mechanismen des Old-School-Kapitalismus mittel- bis langfristig aushebeln werden. „Kollaborative Ökonomie verändert nicht nur unseren Lebensstil einschließlich Mobilität, Konsum, Wissen, Lernen, Arbeiten, Produzieren und Finanzieren, sondern auch unser Zusammenleben, Denken, Handeln sowie unsere Werte“, schreiben die Autor*innen der kürzlich erschienenen Potentialanalyse zur Sharing-Economy in Berlin. Nutzen statt Besitzen und Zugang statt Status: Die Vorstellungen eines kollaborativen Zusammenwirkens breiten sich auf immer mehr Bereiche einer vernetzt-globalisierten Gesellschaft aus.
Teile der Offene-Werkstatt-Szene verstehen sich stärker als Bewegung oder Teil einer Bewegung als andere. Zu beobachten ist hierbei, dass insbesondere die jüngere Generation der Do-it-together-Akteur*innen vorgefertigte Räume und kommerzialisierte Konzepte immer weniger akzeptiert und Mitgestaltung ungeachtet sozialer oder kultureller Herkunft nicht nur einfordert, sondern sie ganz praktisch verwirklicht: zum Zwecke der Selbstversorgung, der Innovation, als Spielplatz oder Labor, als soziales Experiment und vor allem deshalb, weil zusammen immer mehr geht als alleine. Gemeinsames Selbermachen und offenes Teilen von Produktionswissen und -mitteln ist für die jeweiligen Macher*innen und Nutzer*innen Offener Werkstätten dabei nicht allein im Freizeitbereich angesiedelt. Es wird viel mehr als wichtiger Baustein eines neuen Fundaments für eine gemeinwohlorientierte, solidarisch-partizipativ verfasste und die begrenzten planetaren Ressourcen respektierende (Welt-)Gesellschaft aufgefasst. Eine der Kernideen ist zweifellos die gemeinschaftliche Nutzung von materiellen und immateriellen Produktionsmitteln, vielleicht sogar die Demokratisierung der Produktion im Sinne von „Selbstbefähigung“.

FabLabs: von der Elite-Uni in die „Graswurzel-Praxis“


Neben Infrastrukturen für klassisches Handwerk findet seit einigen Jahren eine spezifische Form Offener Werkstatt besondere Verbreitung: das Fab Lab (Abkürzung für: fabrication laboratory). „How to make (almost) anything“ war die leitende Frage einer Vorlesungsreihe des Physikers Neil Gershenfeld am Center for Bits and Atoms des Massachusetts Institut of Technologie, die 2001 zur Gründung des ersten Fab Labs führte. Ziel war, herauszufinden, welches Set an Maschinen und Werkzeugen benötigt wird, um all das herstellen zu können, was es (nicht) zu kaufen gibt – eine Ausstattung also, die nicht auf Massenproduktion ausgelegt ist, sondern auf persönliche (digitale) Fabrikation, das heißt auf die Herstellung von Dingen nach eigenen Vorstellungen und angepasst an persönliche Bedürfnisse. Zur Grundausstattung eines Fab Labs gehören Maschinen, die vornehmlich im industriellen Kontext verwendet werden, wie Lasercutter, CNC-Maschinen (zum Beispiel Fräsen) und 3D-Drucker. Diese Geräte verarbeiten digitale Vorlagen. Was an einer Eliteuniversität begann, ist zu einer globalen Bewegung herangewachsen und wird von vielen Grassroots-Initiativen aufgegriffen. Die Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit Computern, Konstruktions- und Steuerungssoftware und die Bedienung der „Fabrikatoren“ selbst gehören zum basalen Bildungsprogramm der Labs. Die Fab-Charta1  beschreibt den Anspruch, Privatpersonen den Zugang zu modernen Produktionsmitteln und -verfahren zu ermöglichen, um individualisierte Einzelstücke oder Prototypen herstellen zu können – als Community-Ressource.
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Offene Werkstätten sind Infrastrukturorte des Selbermachens von Low- bis High-Tech, in Stadt und Land, niederschwellig zugänglich für alle Altersgruppen, Bildungsschichten und Milieus
Die auf der Plattform des Verbunds Offener Werkstätten e. V. verzeichneten Werkstätten lesen sich wie ein Querschnitt durch die Erscheinungsformen Offener Werkstätten. Ingenieur*innen und Maschinenbauer*innen jeden Alters, Software-Entwickler*innen, Umwelttechniker*innen, Künstler*innen, Handwerker*innen, Nerds, Geeks und Hobbybastler*innen jeder Couleur finden in den Offenen Werkstätten ihre Wirkungsräume und öffnen sie einem breiten Publikum, geben Workshops und bieten Kurse an, beraten und unterstützen andere bei Eigenbauprojekten. Der größte Anteil ist aus privater Initiative entstanden, es gibt aber auch Einrichtungen, die Teil von Kultur-, Bürger- oder Jugendzentren oder in Hochschulen oder Unternehmen angesiedelt sind. Während manche bereits jahrzehntelange Erfahrungen haben, befinden sich andere im Aufbau. Einige rechnen sich selbst spezifischen Communitys oder Werkstatt-Konzepten zu, wie beispielsweise den oben beschriebenen Fab Labs, oder sie haben einen thematischen oder gewerksmäßigen Fokus mit spezifischer Ausstattung, etwa zur Holzbearbeitung oder zur Fahrrad-Reparatur, für Metallbearbeitung, Siebdruck, Keramik oder zur Konstruktion spezifischer Objekte (zum Beispiel Lastenräder). Außerdem gibt es multifunktionale Orte, die verschiedene Bereiche und Ausrüstungen vereinen. Hier ist eine vielfältige Bearbeitung unterschiedlicher Materialien und Werkstücke möglich, wie auch die Entwicklung und Konstruktion komplexer Maschinen und Geräte. Dabei ersetzt das Engagement in den Werkstatt-Projekten die klassische Erwerbsarbeit (bisher) in den seltensten Fällen. Es ergänzt und erweitert die Lebenswelt der Beteiligten um Qualitäten, die Alltag, Berufsleben oder formale Bildungsstätten nicht bieten. Der Aktions- und Erfahrungsraum jenseits von Markt und Staat, der durch geteilte Werte der Community möglich wird, unterstützt dabei, nachhaltigere Lebensstile auch praktisch zu verwirklichen: durch selber machen statt kaufen, reparieren statt wegschmeißen, durch Open Source statt Patent.2 Hier werden möglicherweise die Grundsteine gelegt für anderes Wirtschaften.

Lokal organisiert und (bedingt) offen


Offene Werkstatt bezieht sich immer auf einen realen Ort, deshalb organisieren sich die Macher*innen lokal, um Öffnungs-, Nutzungs- und Betreuungszeiten, Kurse, Workshops und Projekte zu managen. Das Kernteam besteht meist aus mehreren Personen, die temporär Beteiligte kontinuierlich informieren, involvieren und Projektrelevantes über verschiedene Kanäle an potentiell Interessierte kommunizieren. Manche Projekte verfolgen dabei ein Prinzip der „bedingten Offenheit“, sind also auf spezifische Interessengruppen zugeschnitten, wie beispielsweise Hackerspaces. Sie widmen sich den Infrastrukturen für vornehmlich ihresgleichen und schaffen Austausch- und Versammlungsorte für im weitesten Sinne IT-Interessierte, die sich mit Freier Software, Netzpolitik und dem kreativ-unvorhergesehenen Umgang mit (Computer-)Hardware auseinandersetzen. Jeder kennt das Klischee vom Nerd, der sich nur mit „Eingeweihten“ verständigen kann oder mag – auch aus den eigenen Reihen ist bisweilen die Kritik zu vernehmen, dass die Hackerspaces nur „kompatiblen“ Menschen offen stünden.

Die Akteur*innen: entscheidend sind soziale Kompetenzen


Die Akteur*innen der verschiedenen Formationen und Strömungen, in denen Offene Werkstätten eine Rolle spielen, teilen die Auffassung, dass produktive Infrastruktur als Gemeingut zur Verfügung stehen und der Zugang weder durch spezifische Vorbildung, den Geldbeutel noch durch die kulturelle, religiöse oder soziale Herkunft eines Menschen bestimmt sein sollte.
Ob Expert*in oder Laie, dies ist für die Teilhabe nicht entscheidend, ebenso wenig Alter, Herkunft oder Geschlecht. Entscheidend sind eher soziale Kompetenzen und die Fähigkeit, sich in (heterogenen) Gruppen bewegen zu können. Allerdings: In Reparatur-Initiativen ist eher die Generation 50+ anzutreffen und im Fab Lab tummeln sich jüngere, gut ausgebildete und technikinteressierte Menschen. Im Nähcafé treffen sich diejenigen, die sich für Nähen, Stricken, Häkeln interessieren und in der Siebdruckwerkstatt eben jene, die gerne siebdrucken möchten. Der Ort bringt seine Nutzer*innenschaft hervor. Eine von allen geteilte, politische Weltanschauung ist eher nicht anzutreffen, meist wird dies auch nicht angestrebt. Die verbindende Klammer der heterogenen Initiativen ist das gemeinschaftliche Tun und die Bemühung um Offenheit.
Meist sind die jeweiligen Projekte jenseits von Dienstleistung und Erwerbsarbeit angesiedelt. Daher lassen sich die Betreiber*innen auf der einen und die Nutzer*innen auf der anderen Seite nicht wirklich unterscheiden: Die Akteur*innen haben mehrere Rollen inne. Wie bei vielen Gemeinschaftsprojekten werden dabei achtzig Prozent der Gemeinschaftsarbeit von zwanzig Prozent der Beteiligten gestemmt. Offene Werkstätten werden als Treffpunkte und Wirkungsstätten von einer ganzen Reihe von Gruppierungen genutzt. Gerade weil es sich um kein fixes Konzept handelt, sondern eher um eine konkretisierte Vorstellung davon, wie praktisches Wissen, Hand- und Kopfarbeit in einem neuen sozialräumlich-materiellen Arrangement verwirklicht werden können, findet sich vieles auch in den Programmatiken anderen Strömungen wieder: zum Beispiel bei Transition Town oder beim Urban Gardening.
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2 Qualitäten Offener Wertstätten: http://www.offene-werkstaetten.org/seite/offene-werkstaetten (Zugriff: 01.09.2016).

Mangelnde gegenseitige Wahrnehmung, Commoning als verbindendes Element und gemeinsame Freiräume als Zukunftschance
Bisher werden Degrowth-Debatten und Offene-Werkstatt-Szenarien kaum in einer gemeinsamen Auffassung von nachhaltigen Entwicklungspfaden zusammengeführt. Um Kernanliegen und geteilte Werte sichtbar zu machen, könnte mehr gemeinsames Tun Wirkung entfalten. Gemeinsamkeit stellt sich nicht von alleine ein. Lokale Projekte müssen voneinander wissen und sich wahrnehmen, um gemeinsame Sache machen zu können. Das Zauberwort Vernetzung kann gerade bei Offenen Werkstätten dazu führen, dass eine intensivere und vielfältigere Nutzung stattfindet und damit eine solidarische Kultur des Beitragens gestärkt wird. Dies befördert die gegenseitige Inspiration und lokale Unterstützung.
Die Zusammenschau verschiedener Bewegungen im Rahmen des Projektes Degrowth in Bewegung(en) und deren Verortung im Degrowth-Kontext lassen Community-Ressourcen in neuem Licht erstrahlen. Wünschenswert wäre, dass die verschiedenen isolierten Bewegungen ihre gemeinsamen Werte und Überzeugungen bündeln: Es braucht gemeinsame Ziele. Die Bewegung der Offenen Werkstätten macht das Ziel gemeinschaftlicher Infrastrukturen stark. Und zwar an konkreten Orten.

Commoning als verbindendes Element


Mit der Erfahrung, die die Protagonist*innen im Aufbau, Betrieb und Erhalt von Offenen Werkstätten sammeln, leisten sie einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung stabiler Formationen für Peer-Commons. Kollektivierung, Selbstorganisation, regionale und lokale Wirtschaftskreisläufe, die auch Bestandteile anderer Strömungen und Initiativen im Umfeld von Degrowth sind, finden sich dort wieder – nicht als Blaupause, sondern als ein gelebtes Beispiel basaler Open-Source-Infrastrukturen.3 Entscheidend für die Beteiligten ist der Zugang, sind nicht die zugrunde liegenden Eigentumsverhältnisse: Commoning als Lebensstil könnte sich als gemeinsames Leitbild von Degrowth-Aktiven und Akteur*innen Offener Werkstätten an konkreten Orten manifestieren.

Gemeinsame Orte, Freiräume und Infrastrukturen mit einem Maximum an Pluralität schaffen


Fast jede lokale Gruppe einer Bewegung versucht, physischen Freiraum zu schaffen, um darin gemeinschaftliche Aktivitäten zu entfalten. Wie sähen Städte und Gemeinden, Dörfer und Siedlungen aus, wenn multifunktionale Community-Spaces ein selbstverständliches Element wären? Damit ist kein freundlicherweise zur Verfügung gestelltes Fremdeigentum gemeint, sondern ein selbstverwaltetes und -organisiertes Kollektiveigentum einer maximal diversen Nutzer*innenschaft? Um sich dem Maximum an Pluralität, das möglich ist, ohne den Zusammenhalt zu gefährden,4 anzunähern, wäre es wünschenswert, dass erstens Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Konfliktpunkte, bestehende und mögliche Allianzen zwischen verschiedenen Bewegungen verstärkt offen diskutiert werden. Zweitens sollte häufiger auch das Experiment des Aufbaus gemeinsamer, gemeinschaftlicher Infrastrukturen an realen Orten gewagt werden – von Gruppen, die noch nicht ahnen, dass sie gewinnbringend zusammenarbeiten können, gerade weil sie (vermeintlich?) einen so unterschiedlichen Fokus haben. Mit anderen Worten geht es darum, auch jenseits geteilter Anliegen gemeinsame Freiräume zu schaffen, auch um dem Anspruch maximaler Pluralität und Offenheit näher zu kommen und um praxisnahe Gelegenheitsstrukturen aufzubauen, damit unterschiedliche Gruppierungen miteinander in Kontakt kommen können.
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3 Der Verbund Offener Werkstätten e. V. erarbeitet im Rahmen des Forschungsprojektes „cowerk“ eine Wissensplattform, die das explizite und implizite Wissen um Aufbau, Betrieb und Erhalt von Offenen Werkstätten verfügbar machen soll: http://www.offene-werkstaetten.org/seite/cowiki(Zugriff: 01.09.2016).

4 Alain Caillé spricht von „Pluriversalismus“. Vgl. hierzu: http://www.diekonvivialisten.de/manifest.htm(Zugriff: 20.08.2016).

Offenen Werkstätten als Reallabore? Statt Glaubenskriege zu führen, können in ideologiebefreienden Räumen Commons entstehen.
Werkstätten folgen einer inhärenten Logik und Ordnung, die über den eingebrachten individuellen Interessen stehen. Eine Werkstatt ist kein beliebiger Raum, sondern ein spezifisches Arrangement von Ausstattung und räumlicher Funktion. Die Logik und Ordnung muss zunächst erfasst und verstanden werden, bevor etwas Neues in diesem Möglichkeitsraum entstehen kann. Man muss sich also einlassen auf die Werkstatt und Ballast abwerfen, um individuelle Potentiale zusammen mit anderen zur Entfaltung bringen zu können. Meinungen, Werthaltungen, Überzeugungen spielen eine eher untergeordnete Rolle, wenn es darum geht, ein solches Produktivsetting zum Klingen zu bringen. So gesehen sind Werkstätten „ideologiebefreiende Räume“.
Die Pluralität an Ansätzen unter dem Dach von Degrowth bringt bisweilen Kämpfe um Deutungshoheit hervor, die nicht unbedingt förderlich sind, um tieferliegende Gemeinsamkeiten und Anliegen zu entdecken. Welcher Weg ist der richtige? Wenn in Fab Labs mit Begeisterung Plastik-Schnickschnack mit 3D-Druckern, blinkende, und piepende Gadgets aus Mini-Computern und andere Dinge hergestellt werden, die keinen erkennbaren Sinn machen, dann kann dies kritisiert werden: Wer braucht das? Wem nützt das? Ist das nicht das Gegenteil von Degrowth? Gelingt dem Kapitalismus damit nicht die nächste Einhegung einer Bewegung, gerade weil die Akteur*innen so naiv „mitspielen“ und obwohl sie prinzipiell auch das Zeug dazu hätte, neue Regeln für das große Spiel zu setzen?

Open Source Everything


Durch eine andere Brille betrachtet ist dieser vermeintlich naive Spieltrieb, die neue Lust am Durchdringen, Verstehen und Aneignen von Technik ein Indikator dafür, dass sich die Voraussetzungen für Selbstermächtigung ändern. Erschwingliche Elektronik-Komponenten, Open-Source-Soft- und Hardware, im Internet leicht zugängliches und tiefgehendes Wissen zu vielfältigsten Themen sowie den Globus umspannende Austausch- und Vernetzungsmöglichkeiten erlauben heute vielen, komplexe Projekte umzusetzen, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren. Wir nutzen tagtäglich eine Vielzahl an Produkten und Dienstleistungen, deren Funktionsweise uns völlig unklar ist. Wer etwas verändern will, muss aber verstehen. Das Open-Source-Paradigma (Hardware, Design) will Schluss machen mit diesen Black Boxes und Closed Loops und Offenheit schaffen, statt Geheimhaltung und Profite für wenige auf Kosten vieler abzuschöpfen. Frei verfügbare Baupläne, Designs und Subsistenz-Konzepte findet man heute für alle wichtigen Lebensbereiche wie (Selbst-)Versorgung mit Lebensmitteln, Wasseraufbereitung, Energie, Wohnen und Mobilität. High- und Low-Tech-Ansätze treffen sich dabei immer wieder im Bestreben, „angepasste Technik“5 zu entwickeln.
Gemeinsam könnten verschiedene politische Strömungen die Offene-Werkstätten-Landschaft befruchten, „bewirtschaften“ und auch sensibilisieren, denn selber machen heißt nicht zwangsläufig nachhaltig oder zukunftsfähig zu produzieren (vgl. Petschow 2014). Mit anderen Worten können bestimmte Werte und Weltsichten aus Degrowth-Konzepten Maker*innen Orientierung bieten und einen erweiterten Horizont für die Verortung des eigenen Tuns liefern. Zudem sind Offene Werkstätten Reallabore, um Lösungen für eine Wirtschaft jenseits des Wachstums zu finden. Spannend wird es immer dann, wenn Menschen, die sonst nicht viel miteinander zu tun haben, in produktiven Austausch miteinander „geraten“. Ich rege also an, sich einfach mal ins „Lager der Anderen“ zu wagen und statt ethische Grundsatzfragen zu diskutieren oder die/eine Wahrheit zu verteidigen, einfach mal gemeinsam selber zu machen und ein (kleines) konkretes Problem durch Eigenarbeit zu lösen. Salopp gesagt: Therapie statt Diagnose, konkret statt abstrakt, machen statt (nur) reden.
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5 Eine Definition vom Kollektiv für angepasste Technik: http://kante.info/uber-uns/angepasste-technik/ (Zugriff: 20.08.2016).

Vorhandene Infrastrukturen als Baustein für eine plurale Bewegung nutzen
Anstatt immer wieder Geld, Zeit und Energie zu investieren, um Räume nutzbar zu machen und auszustatten, könnten existierende Infrastrukturen für offene und selbstorganisierte Nutzungen sukzessive geöffnet werden. (Frei-)Raum und Ausstattung sind zweifelsohne wichtige Ressourcen für eine starke, emanzipatorische Bewegung. Raum und Ausstattung gibt es prinzipiell genug: Wir leben in der Fülle, nicht der Knappheit. Ich benutze Volkshochschulen, um eine Vision zu skizzieren: Geschätzt verfügen mindestens die Hälfte der 900 Volkshochschulen in Deutschland über Werkstätten. Handwerkliche Kurse folgen meist einem Programm mit festgelegten Terminen, hergestellt werden konkrete Werkstücke oder es geht um den Erwerb spezifischer, berufsrelevanter Zertifikate. Ist der Lehrgang vorbei, ist auch die Nutzungsmöglichkeit der Werkstatt beendet. Die Teilnehmer*innen erwerben in der Regel keine Berechtigung, die Werkstatt auch jenseits von Kursen/Lehrgängen, ohne Aufsicht oder jenseits festgelegter Öffnungszeiten nutzen zu können. In der Zwischenzeit stehen die Werkräume oft ungenutzt leer. Volkshochschulen könnten stattdessen, im Sinne eines erweiterten Werkstatt-Begriffs, als neuer (Selbst-)Bildungsort in Erscheinung treten und so dem Bedürfnis nach Selbstorganisation und Kollaboration entgegenkommen.
Warum also nicht bestehende Infrastrukturen, zum Beispiel Volkshochschul-Werkstätten, in den ungenutzten Zeiten autark organisierten Werkstatt-Gruppen überlassen? Räume samt Ausstattung können beispielsweise mitsamt Rechten und Pflichten vermietet werden. Damit eröffnet sich – ohne große materielle Investitionen – ein neuer Möglichkeitsraum. Notwendig dafür ist seitens des geneigten, lokalen Infrastrukturgebers die Fähigkeit, die interne Verfasstheit der eigenen Einrichtung transparent zu machen, klare Spielregeln zusammen mit den neuen Nutzungsgruppen festzulegen und Strukturen für Kommunikation und Information zu schaffen, die das Miteinander unterstützen. Womöglich ist genau das der Schlüssel und auch die Kunst dabei: nicht nur rechtliche Klarheit zu schaffen, sondern einen respektvoll-toleranten, rücksichtsvoll-pfleglichen Umgang miteinander zu etablieren, der ein möglichst breites Spektrum an Nutzungen zulässt.
Was langfristig alles zu Commons-basierter Infrastruktur transformiert werden könnte, ist nicht ausformuliert. Gegebenenfalls muss dafür die „heilige Kuh“ Privateigentum angegangen und Profit durch gesellschaftlichen Mehrwert ersetzt werden. Das entstehende gemeinschaftlich erarbeitete Regelwerk für den solidarischen Umgang mit Fülle – durch kleine, organisierte, lokale Gruppen in einer gelebten, verantwortlichen sozialen Praxis auf den Weg gebracht – könnte man vielleicht als „pluriversalistisches System“ bezeichnen. Diese „Vision“, vorhandene Infrastrukturen ohne „System-Neustart“ anders zu nutzen und dies durch eine überzeugende neue Praxis zu verwirklichen, ist den Degrowth-Gedanken per se nahe. Die Degrowth-Ansätze fasse ich hier als einen heterogenen „melting pot” verschiedener Gruppierungen auf, der diese neue Praxis jenseits ideologischer Grabenkämpfe zu praktizieren erlaubt.
Damit Offene Werkstätten ein gesellschaftsveränderndes Potential entfalten können, sind zwei Kriterien zentral:

Damit dies gelingen kann, werden nicht nur alternative Wirkungsorte gebraucht, sondern auch ein verändertes Verständnis davon, was als Commons-basierte Infrastruktur dienen kann und wie alternative Nutzungsformationen aussehen können.

Links


> „Alles offen?!“ – Multimediale Dokumentation des Festivals Offener Werkstätten 2015
> anstiftung – Stiftung für Offene Werkstätten, Reparatur-Initiativen, Interkulturelle und Urbane Gemeinschaftsgärten
> Reparatur-Initiativen finden, unterstützen und gründen
> Verbund Offener Werkstätten – Webseite
> Verbund Offener Werkstätten – Broschüre

Verwendete und weiterführende Literatur


Anderson, Chris 2013. Makers: Das Internet der Dinge: die nächste industrielle Revolution. München: Hanser.
Arnold, Andreas; Dönnebrink, Thomas; Klagel, Ela; Scheub, Ute 2015. Von der geteilten zur teilenden Stadt – Berlin auf dem Weg zu einer Sharing City. Potenzialanalyse der Share und Collaborative Economy in Berlin. Berlin: Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung. Zugriff: 30.08.2016. <http://www.berlin.de/sen/wirtschaft/wirtschaft-und-technologie/branchen/ikt-medien-kreativwirtschaft/studien/pzu_studie_share-economy5.pdf>
Baier, Andrea; Müller, Christa; Werner, Karin (Hrsg.) 2013. Stadt der Commonisten – Neue urbane Räume des Do it yourself. Bielefeld: transript.
Baier, Andrea; Hansing, Tom; Müller, Christa; Werner, Karin (Hrsg.) 2016 (im Erscheinen). Die Welt reparieren. Selbermachen und Open Source als postkapitalistische Praxis. Bielefeld: transcript.
Helfrich, Silke; Heinrich-Böll Stiftung (Hrsg.) 2014. Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Bielefeld: transript.
Leismann, Kristin; Schmitt, Martina; Rohn, Holger; Baedeke, Carolin 2012. Nutzen statt Besitzen – Auf dem Weg zu einer ressourcenschonenden Konsumkultur. Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung. <https://www.boell.de/sites/default/files/Endf_NutzenStattBesitzen_web.pdf>
Petschow, Ulrich; Ferdinand, Jan-Peter; Dickel, Sascha; Flämig, Heike; Steinfeldt, Michael; Worobei, Anton 2014. Dezentrale Produktion, 3D-Druck und Nachhaltigkeit. Berlin: Institut für ökologische Wirtschaftsforschung. Zugriff: 30.08.2016. <https://www.ioew.de/fileadmin/_migrated/tx_ukioewdb/IOEW_SR_206_Dezentrale_Produktion_3D-Druck_und_Nachhaltigkeit.pdf
Rifkin, Jeremy 2016. Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus. Frankfurt am Main/New York: Campus.
Siefkes, Christian 2008. Beitragen statt tauschen: Materielle Produktion nach dem Modell Freier Software. Neu-Ulm: AG SPAK.

00 Degrowth in Bewegung(en)

01 Einleitung

02 15M – from an autonomous perspective

03 Anti-Kohle-Bewegung

04 Artivism

05 Attac

06 Buen Vivir

07 Care Revolution

08 Commons-Bewegung

09 Degrowth

10 Demonetarisierung

11 Ernährungssouveränität

12 Flucht- und migrationspolitische Bewegung

13 Freie-Software-Bewegung

14 FUTURZWEI

15 Gemeinwohl-Ökonomie

16 Gewerkschaften

17 Grundeinkommensbewegung

18 Jugendumweltbewegung

19 Klimagerechtigkeit

20 Offene Werkstätten

21 Ökodorf-Bewegung

22 Peoples Global Action

23 Plurale Ökonomik

24 Post-Development

25 Post-Extraktivismus

26 Queer-Feministische Ökonomiekritik

27 Radical ecological democracy

28 Recht auf Stadt

29 Solidarische Ökonomie

30 Tierrechtsbewegung

31 Transition-Initiativen

32 Umweltbewegung

33 Urban-Gardening-Bewegung

34 Abschlusskapitel