Wir sind beide langjährig mit der
BUNDjugend ehren- beziehungsweise hauptamtlich verbunden und sprechen daher vor allem für diesen verbandsgeprägten und organisierten Teil der Jugendumweltbewegung.
Gleichzeitig fühlen wir uns als Teil der Degrowth-Bewegung. Katharina Ebinger ist seit Mai 2015 im Bundesvorstand der
BUNDjugend für Suffizienz, Postwachstum und Intersektionalität zuständig. Janna Aljets arbeitet seit 2013 in der Bundesgeschäftsstelle der
BUNDjugend zu konsumkritischen Alternativen und Postwachstum und hat Degrowth-Veranstaltungen mitorganisiert.
Dieser Text ist eine subjektive Momentaufnahme der Jugendumweltbewegung und ihres Verhältnisses zu Degrowth. Wir haben dabei versucht, möglichst viele aktuelle Stimmen junger Umweltbewegter einzusammeln, dabei aber auch die Geschichte und Diversität der Jugendumweltbewegung zu berücksichtigen.
Die Jugendumweltbewegung: zwischen radikaler Systemkritik, politischen Aktionen und ökologischer Alltagsgestaltung
Die deutsche Umweltbewegung ist von drei Strömungen bestimmt und diese beeinflussen ihre Ausrichtung zum Teil bis heute. Viele der etablierten Verbände sind einerseits von klassischen Natur- und Umweltschützer*innen und andererseits von der Anti-Atomkraft-Bewegung sowie der Friedensbewegung geprägt worden. Dabei ist interessant, dass sich die Gründung der Jugendumweltverbände in den 1980er Jahren zunächst sehr stark gegen die sich etablierenden und bereits etablierten Strukturen der Umweltbewegung richtete.
Der Ursprung: kämpferische Kritik der Jugend
Die jungen Umweltaktivist*innen der Gründungsphase waren größtenteils radikales und kritisches Sprachrohr für Selbstständigkeit, Enthierarchisierung und direkte politische Aktionen. Stand der Schutz der Umwelt zwar auch bei den jungen Menschen im Vordergrund, wurde hier jedoch zugleich viel Wert auf Selbstorganisation, Hierarchie- und Bürokratiefreiheit sowie auf die Ablehnung verkrusteter Strukturen von Staat und Industrie gelegt. Dies zeigte sich anfänglich in einem bunten Nebeneinander von verbandlichen Jugendgruppen, Projektwerkstätten, Umwelt-AGs an Schulen und freien Initiativen. Diese Räume sollten offen für alle sein, transparent arbeiten, im Konsens entscheiden und Netzwerke schaffen. Jeder Gruppe war grundsätzlich Freiheit in der Ausgestaltung ihrer politischen Aktionen gegeben. Gerade im Gegensatz zu bereits etablierten Umweltverbänden wurden Umweltschutz und Ökologieanspruch mit einer radikalen Systemkritik verbunden. So heißt es im Grundsatzpapier zum
DUT (Deutschen Umwelttag) von unten im September 1992:
Wir nämlich gehen davon aus, dass Kapitalismus und Ökologie nicht miteinander vereinbar sind ... High-Tech-Umweltschutz alleine zu kurz greift und vielmehr grundlegend andere Strukturen nötig sind. ... Umweltbewegung weitergehen muss, als Lobbyist der Natur unter vielen anderen gesellschaftlichen Interessengruppen zu sein. Sie darf sich nicht mit der ihr vom ‚demokratischen‘ System zugedachten Rolle zufriedengeben. ... Industrie und Zentralismus Menschen psychisch krank machen. ... Ökologischer Umbruch unserer Gesellschaft auch immer den Abbau von Macht- und Herrschaftsstrukturen einschließen.
(zitiert nach Bergstedt1 1998: 132)
Diese kämpferische Kritik am etablierten Wirtschafts- und Gesellschaftssystem und der Wille zu alternativen Aktionsformen und politischer Partizipation muss als wichtiges Gründungselement der deutschen Jugendumweltbewegung gesehen werden.
Annäherung und Kooperation
Trotz Kritik an der Verkrustung und Starrheit der Umweltverbände kam es schon bald zu einer politischen und organisatorischen Umorientierung: Viele Jugendgruppen näherten sich inhaltlich, finanziell und organisatorisch den Erwachsenenverbänden an und kooperierten stärker mit ihnen. Dies zeigte sich zum Beispiel darin, dass die Forderungen der Umweltverbände (zum Beispiel die ökologische Steuerreform) übernommen und deren Themen in die Jugend getragen und dort altersgerecht diskutiert wurden.
Hier kristallisierte sich der spezifische politische und ökologische Bildungsauftrag der Jugendumweltbewegung heraus, der auch heute noch zentral und identitätsstiftend ist: Durch Workshops, Aktionen und Treffen sollen jungen Menschen die Fähigkeiten vermittelt werden, sich kritisch mit etablierten Meinungen auseinanderzusetzen, eigene politische Standpunkte zu entwickeln und diese in Aktionen und Projekten umzusetzen. Die Jugendverbände verstehen sich daher immer auch als Sprachrohr für junge Menschen, um ihre Stimme in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zu stärken.
Inhaltlich steht immer noch der Schutz der Umwelt, lokal wie global, im Mittelpunkt der Jugendumweltbewegung. Basierend auf den Interessen der aktiven Mitglieder haben sich folgende Themenschwerpunkte herausgebildet: Der Umgang mit den Klimaveränderungen, die kritische Auseinandersetzung mit erneuerbaren Energien, der Kampf gegen die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und die Forderung nach einer ökologischen und bäuerlichen Landwirtschaft sind den jungen Aktiven wichtige Anliegen. Diese Themen werden seit vielen Jahren auch aus einer Perspektive globaler Gerechtigkeit diskutiert und knüpfen damit an Diskurse aus der kritischen Entwicklungspolitik an. Das Paradigma nachhaltiger Entwicklung hat Anfang der Nullerjahre das Leitbild des „klassischen“ Natur- und Umweltschutzes abgelöst und damit ganzheitliche Perspektiven eröffnet, die verstärkt auch soziale Komponenten berücksichtigen. Insbesondere im Bereich der
Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) schlägt sich dies in vielen konkreten Projekten nieder, wie zum Beispiel konsumkritischen Stadtrundgängen für Schulklassen (
WELTbewusst).
Individuelle Suffizienz als Beitrag zum Klimaschutz
In den letzten Jahren ist ein weiterer prägender Schwerpunkt hinzugekommen. So ist für junge Umweltaktivist*innen die Frage, wie sie selbst möglichst ressourcenschonend und klimagerecht auf diesem Planeten leben können, zentral. Sie hinterfragen die etablierten ressourcenintensiven und umweltschädlichen Lebensstile der bürgerlichen Gesellschaft und probieren ökologische Alternativen aus. Sie ernähren sich vegan, reisen regional und tauschen und teilen ihre Gebrauchsgegenstände. Damit kritisieren sie offen die herrschende materialistische Konsumkultur und sehen sich selbst als ökologisches Vorbild, gerade auch für ältere Generationen.
Dieser persönliche, auf das eigene Leben bezogene Zugang ist derzeit besonders identitätsstiftend für die Jugendumweltbewegung. Inwieweit dies einer Entpolitisierung und Zähmung der Jugend gleichkommt, ist nicht leicht und ohne Ambivalenzen zu beantworten. Gerade auch in der fruchtbaren Zusammenarbeit mit Akteur*innen der Degrowth-Strömungen jedenfalls sehen wir ein großes Potential, die aktuellen Themen und Anliegen stärker zu politisieren und damit zu den Wurzeln der Jugendumweltbewegung zurückzukommen.
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Die Aktiven: basisdemokratisch und engagiert, bildungsprivilegiert und weiß
In der derzeitigen Jugendumweltbewegung, die aus dem Widerstand gegen etablierte Umweltverbände hervorgegangen ist, organisieren sich Menschen unter dreißig Jahren. Ihnen ist der historische Anspruch an eine basisdemokratische Organisation und Arbeitsweise geblieben. So sind die
BUNDjugend, die
Naturschutzjugend, die
Naturfreundejugend und der
Deutsche Jugendbund für Naturbeobachtung bis heute formell basisdemokratisch organisiert.
Strukturelle Grenzen und Möglichkeiten
Positionen, Vorgehensweisen und Themenschwerpunkte werden intensiv zwischen den Landes- und Bundesebenen sowie zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen diskutiert und ausgetauscht. Dies unterscheidet sie auch stark von internationalen Jugendorganisationen wie
WWF Jugend oder
Greenpeace Jugend, die sehr viel stärker hierarchisch aufgestellt sind. Zentral ist auch die föderale Struktur mit einem Landes- und einem Bundesverband, die zum einen regionale Schwerpunkte und Aktionsformen zulässt, zum anderen zentrale – dabei oft langsam und mühselig erscheinende – Entscheidungs- und Veränderungsprozesse ermöglicht. Auch aufgrund der föderalen Struktur ist ein eindeutiges Bild der Jugendumweltbewegung sehr schwer zu zeichnen. Zu regelmäßigen Diskussionen und Spannungen führt bei den Jugendumweltorganisationen vor allem auch das Verhältnis zwischen professionalisierten Hauptamtlichen einerseits und leidenschaftlich engagierten Ehrenamtlichen andererseits.
Aufgrund der großen Themenvielfalt rund um Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung sind die Aktiven der Jugendumweltbewegung in der Regel auf vielen gesellschaftlichen Ebenen umtriebig: Sie sind in wirtschaftliche, politische und auch wissenschaftliche Prozesse involviert und bringen dort ihre ökologischen Anliegen ein. Zudem spielt die internationale Vernetzung (zum Beispiel
Young Friends of the Earth) eine immer wichtigere Rolle, da viele Umweltprobleme auch in ihrer globalen Dimension erfasst und diskutiert werden und strategische Bündnisse sinnvoll und notwendig sind, um mit ausreichender politischer Schlagkraft zu agieren.
Basis für politische Willensbildung und politische Forderungen
Strategisch lässt sich die Arbeit der Jugendumweltbewegung in zwei Bereiche gliedern. Ein Schwerpunkt liegt auf der Bildungs- und Politisierungsarbeit. So soll die breite Bevölkerung auf ökologische Probleme aufmerksam gemacht und für notwendige Änderungen sensibilisiert werden. Hierbei setzt der Bildungsauftrag der Jugendumweltbewegung in erster Linie bei individuellen Handlungsoptionen an, zudem zielt er auf langfristiges Empowerment und lässt junge Menschen so zu politischen Akteur*innen werden. Sie erlernen Fähigkeiten und Kompetenzen, um das eigene Leben ökologischer zu gestalten und auch andere davon zu überzeugen.
Der zweite Schwerpunkt ist die politische Lobby- und Kampagnenarbeit, die innerverbandlich als sehr wichtig erachtet wird. Sie zielt darauf ab, Strukturen und Rahmenbedingungen für alternative, ressourcenschonende Lebensstile zu schaffen. In unregelmäßigen Abständen wird mit Demonstrationen, Aktionen und Infokampagnen Öffentlichkeit dafür geschaffen.
Blinde Flecken und Lücken in der Bewegung
Die Jugendumweltbewegung wird immer häufiger mit sozialen Fragen konfrontiert, weil sie feststellen muss, dass bestimmte ökologische Handlungsweisen nur wenigen privilegierten Gruppen unserer Gesellschaft offenstehen. Diese Problematik spiegelt einen teilweise blinden Fleck der Jugendumweltbewegung wider, der sich vor allem aus der Zusammensetzung ihrer Aktiven ergibt. Die Jugendumweltbewegung ist, ähnlich wie auch die Erwachsenenverbände, stark vom
weißen2 Bildungsbürgertum Deutschlands geprägt. Die meisten Aktiven kommen aus einem akademischen Elternhaus und/oder studieren selbst. Darüber hinaus gibt es wenige Aktive, die einen Migrationshintergrund haben und diese Perspektive strategisch oder politisch in die Umweltbewegung tragen. Letzteres wird in den Jugendverbänden – im Gegensatz zu den Erwachsenenverbänden – kontinuierlich selbstkritisch hinterfragt und diskutiert, was zumindest eine Offenheit und eine gewisse Sensibilität für dieses Problem zeigt. Der Weg hin zu einem intersektionalen
3 Verständnis von Jugendumweltarbeit ist aber noch weit.
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Postwachstum, Suffizienz, Transformation? Degrowth!
Neben Klima, Energie und Landwirtschaft ist Degrowth (zunächst unter dem Stichwort Postwachstum)
4 in den letzten zehn Jahren zu einem gesetzten Querschnittsthema für die Jugendumweltbewegung geworden. Die Tatsache, dass unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten nicht möglich ist, ist zu einer Binsenweisheit geworden. Folgerichtig wurde die Kritik an ökologischen Zerstörungen mit einer Ablehnung des bestehenden Wirtschaftssystems verbunden, welches auf die unbegrenzte Ausbeutung natürlicher und humaner Ressourcen angewiesen ist und finanzielle Profite über das Gemeinwohl stellt. Die umweltbewegten jungen Menschen interessieren sich für systemische Fragen und kritisieren ein Wachstums- und Wettbewerbssystem, das auf Kosten von Umwelt und Menschen geht. Obwohl die Aktiven in erster Linie ökologisch motiviert sind, werden Kritik und Aktionsformen immer stärker auch darauf ausgerichtet, die dahinterstehenden Ursachen anzugreifen. Damit teilt die
BUNDjugend wie auch andere Jugendumweltverbände die Werte vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen, die für einen umfassenden gesellschaftlichen Wandel streiten. Es ist folglich kein Zufall, dass die
BUNDjugend das globalisierungskritische Netzwerk
Attac mitgegründet hat. Heute werden unter dem Begriff Postwachstum und Degrowth viele Workshops, Aktionen und Projekte organisiert, die sich um eine sozial-ökologische Transformationen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft drehen.
Suffizientes Leben im Alltag
Als eine zentrale Schnittstelle zwischen der deutschen Degrowth-Bewegung und der Jugendumweltbewegung erscheint uns das Thema der Suffizienz und die Frage danach, wie alle genug haben können. Die jungen Umweltaktivist*innen legen großen Wert auf persönliche Suffizienz und leben vor, wie ein möglichst suffizientes Leben im Alltag umgesetzt werden kann. Sie hinterfragen die herrschende Logik des Immer-höher-schneller-weiter-und-mehr und haben große Freude am Energiesparen, Klimafasten, Teilen und Schenken und an Verpackungsfreiheit. Sie sind die Pioniere eines konsequent ökologischen und nachhaltigen Lebensstils und fordern, diesen auch für andere zugänglich zu machen. Sie haben erkannt, dass der Lebensstil der industrialisierten Länder nur auf Kosten von Umwelt und Natur und von Menschen im globalen Süden zu haben ist und dass der ökologische Fußabdruck ihrer Generation den kommenden auf die Füße fällt. So sehen sie in der persönlichen und gesellschaftlichen Suffizienz eine mögliche Strategie, um nicht nur ökologische Krisen zu vermindern, sondern auch selbst unmittelbar aktiv zu werden.
Degrowth als ideologische Referenz
Historisch mag sich die Jugendumweltbewegung von einer kämpferischen Kapitalismuskritik zunächst entfernt und diese durch eher kooperative und reformerische Strategien ersetzt haben. Doch auch hier lässt sich kein einheitliches Bild zeichnen. Schreiben sich die einen bei einem Smartmob (Flashmob mit politischer Botschaft) oder einem Critical-Mass-Fahrradkonvoi unbefangen Systemwandel auf die Fahnen, so suchen andere Lösungen im bereits Bestehenden und gründen lieber ein Repair-Café. Beide Formen der politischen Kritik sind unseres Erachtens äquivalent in der deutschen Degrowth-Bewegung zu finden.
Die neu entstandene Degrowth-Strömung und -Debatte funktioniert wie ein neues Dach, unter dem sich auch die Jugendumweltbewegung gruppieren kann. Hier erkennen die Aktiven Überschneidungen und Gemeinsamkeiten mit anderen Bewegungen, Initiativen und Projekten und können die eigenen Anliegen in einen größeren Rahmen einordnen. All dies passiert auch auf eine wesentlich unkompliziertere Art und Weise als bei den Erwachsenenverbänden. Schließlich sind die meisten jungen Umweltaktivist*innen ohnehin der Meinung, dass ein großer sozialer und ökologischer Umbau notwendig ist. An zahlreichen Stellen findet bereits eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit anderen Organisationen (wie dem
Konzeptwerk Neue Ökonomie oder
fairbindung), Initiativen (zum Beispiel Repaircafés und Stadtgärten) und Einzelpersonen statt, die sich der Degrowth-Bewegung zuordnen.
Die Debatte um Degrowth wird in der Jugendumweltbewegung als Bereicherung angesehen, und es bleibt zu hoffen, dass die Verbindung zwischen beiden auf fruchtbare Weise bestehen bleibt. Denn unseres Erachtens können beide viel voneinander lernen ...
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Suffizienz nicht ohne Politik, Politik nicht ohne Suffizienz!
Suffizienz lässt die eigene Wirksamkeit spürbar werden
In der Jugendumweltbewegung wird Degrowth oder Postwachstum sehr oft mit der Strategie der Suffizienz gleichgesetzt. Dabei handelt es sich zunächst um einen Platzhalter für Fragen nach dem Genug, die insbesondere auf politischer Ebene weiterer Diskussion bedürfen. Die individuelle suffiziente Lebensführung steht dabei im Vordergrund, weil die jungen Umweltbewegten ein großes Bedürfnis nach direkter Wirksamkeit verspüren. Wer die eigene Ernährung, die Mobilität oder das Kaufverhalten ökologischer und nachhaltiger gestalten kann, erfährt unmittelbar, dass hier und sofort etwas veränderbar ist – wenn auch die tatsächliche Wirksamkeit oft im Unklaren bleibt. Junge Menschen haben wohl ein Stück weit das Vertrauen in schnelle und wirksame Veränderungen auf politischer Ebene verloren, sodass ihnen die Umstellung auf einen nachhaltigen Lebensstil einen Teil ihrer Wirkmächtigkeit zurückgeben kann. Während Forderungen an die politische Ebene oft mit Misserfolg oder Ignoranz enden, kann ein suffizienter Lebensstil unmittelbar Ressourcen schonen, wenn auch in begrenztem Maße. Diese eigene Praxis und vor allem die damit verbundene Bereitschaft, neue Dinge auszuprobieren und im eigenen Leben zu experimentieren, liefern viele positive Beispiele für Forderungen aus der Degrowth-Debatte.
Mentalitätswechsel: Suffizienz als Lebensgefühl der Jugend
Die jungen Umweltaktivist*innen zeigen, dass ein suffizienter Lebensstil Spaß machen kann, das eigene Leben bereichert und das Gemeinschaftsgefühl fördert. Die teils als utopisch angesehenen und dafür kritisierten Ideen und Ideale einer nachhaltigen Degrowth-Gesellschaft werden schon jetzt von diesen jungen Menschen gelebt. Sie sind Vorbilder, Pionier*innen und Experimentierende und damit lebender Beweis für einen möglichen gesellschaftlichen Wandel und kulturellen Mentalitätswechsel. Gerade auch in der Auseinandersetzung mit den verkrusteten Strukturen der Erwachsenenverbände wird das auch immer wieder angeführt: „Schaut her, ihr Großen da oben! Während ihr noch debattiert und mit klugen Worte um euch schmeißt, haben wir es schon längst getan. Und wisst ihr was? Es ist ganz einfach und es macht großen Spaß!“
Dies bringt uns zu einem weiteren Aspekt, warum die Erfahrung und Geschichte der Jugendumweltbewegung die Degrowth-Debatte erweitern kann. Die jungen Engagierten können legitim die Jugendperspektive vertreten und sprechen damit aus einer gesellschaftlichen Position heraus, die oftmals ungehört ist. Ihre Probleme, Herausforderungen und Sichtweisen unterscheiden sich in vielen Belangen sehr stark von jenen bereits etablierter politischer Aktivist*innen. Ihr Blick auf aktuelle Situationen und die zukünftigen Szenarien sind allein aufgrund ihres Alters anders. Nicht zuletzt ist die kollektive Erfahrung der Jugendumweltbewegung, sich gegen etablierte Stimmen durchzusetzen, ein großer Mehrwert gerade auch für Degrowth-Verfechter*innen.
Stolpersteine: Wie ist Suffizienz für alle möglich?
Wir wollen nicht negieren, dass es für eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft sehr viel mehr braucht als Umstellungen in der individuellen Lebensführung. Nicht alle nachhaltigen Handlungsoptionen stehen allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung beziehungsweise stellt das gesellschaftliche und infrastrukturelle Umfeld einen wichtigen Faktor dar, wer was wie umsetzen kann. So ist beispielsweise der Wohnsitz auf dem Land ohne Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel oder Zugang zu ökologischen Lebensmitteln bereits ein Hindernis für eine nachhaltige Lebensführung. Deshalb bedarf es notwendigerweise auch politischer Umstrukturierungen und Umverteilungen, die möglichst allen Menschen ein suffizientes Leben ermöglichen, das nicht auf Kosten anderer gelebt werden muss.
Hier wiederum kann die Jugendumweltbewegung von Vorschlägen und politischen Forderungen der Degrowth-Debatte lernen. Es ist nicht so, dass die Jugendumweltbewegung gänzlich unpolitisch geworden wäre – hier genügt ein Blick auf den jahrelangen Widerstand gegen Braunkohle, der nun auch von Degrowth-Aktivist*innen geleistet wird. Dennoch: Wo die Wirkmächtigkeit von individuellen Entscheidungen an ihre Grenzen stößt, müssen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändert werden, und hier sehen wir eine Chance in der Auseinandersetzung mit der Degrowth-Bewegung: Die Umweltaktivist*innen können lernen, welche politischen Forderungen sie an wen richten müssen. Sie können den eigenen politischen Forderungen mehr Gewicht verleihen und sie mit der nach einer anderen, nachhaltigeren Wirtschaftsweise verbinden. Auf der anderen Seite kann die Degrowth-Bewegung der Jugendumweltbewegung Orte und Themen des Protests abschauen und Degrowth dadurch sehr viel konkreter machen, als es die theoretische Debatten vermuten ließe.
In diesem Sinne besteht zwischen Degrowth und Jugendumweltbewegung eine Partnerschaft, die beide stärkt und von der das Lobbying für Degrowth-Politik profitiert. Darin sehen wir aktuell eine große Herausforderung für die Jugendumweltbewegung, damit die eigene suffiziente Lebenspraxis die gesamte Gesellschaft erreichen kann. Ob dies in einem reformerischen Maße geschieht und zum Beispiel der Ausbau von Fahrradstraßen gefordert wird oder ob die ökologischen Anliegen mit einer scharfen Kritik an ausbeuterischen Strukturen des kapitalistischen Systems verbunden werden, bleibt den Aktiven überlassen. Wie oben gezeigt, ist der Spielraum in der Jugendumweltbewegung hier groß genug, und in der Degrowth-Debatte finden sich diverse Vorschläge, um sich anregen zu lassen.
Ausblick: Back to the Roots?
So fruchtbar die Verbindungen zwischen der Jugendumweltbewegung und Degrowth hier beschrieben worden sind, so viel bleibt auch noch an Verknüpfungsarbeit und Weiterentwicklung zu leisten, damit diese sich jeweils noch mehr aufeinander beziehen können.
Die aktuellen globalen und gesellschaftlichen Krisen lassen sich nicht mehr allein aus einer themenspezifischen Perspektive lösen. Sie müssen von einer breiten sozialen Bewegung und von vielen Initiativen, Organisationen und Verbänden getragen werden. Eine sozial-ökologische Transformation, die für die miteinander verbundenen Krisen eine Lösung bieten will, muss die verschiedenen emanzipatorischen und sozialen Kräfte zusammenführen. Die Professionalisierung und Institutionalisierung der Jugendumweltverbände darf hier als Erfahrungswert dienen, da sie in diesem Feld über wesentliche Expertise verfügt. Dennoch müssen sich bestehende soziale Bewegungen, auch die Jugendumweltbewegung, offener für verschiedene strategische Bündnisse zeigen. Eine stärkere Zusammenarbeit mit anderen Bewegungen könnte auch den internen Mangel an Diversität und damit an Perspektivenvielfalt zumindest vermindern.
Dies erfordert ein Ausbrechen aus dem an vielen Stellen verbreiteten Konkurrenzdenken und aus selbstbezogenen Organisationslogiken, die sich auch in der Jugendumweltbewegung zeigen. Wo heute noch gefragt wird, welche Themen, Aktionen und Kampagnen einer Organisation gut stehen, muss zukünftig die Frage gestellt werden, was einen wertvollen Beitrag zu einer sozial-ökologischen Transformation darstellt. Dies können auch unbequeme und neue Strategien sein, die auch Veränderungen vonseiten der Jugendumweltbewegung erfordern.
Die Degrowth-Bewegung zeigt uns, dass wir nicht mehr nur an kleinen und schrittweisen Verbesserungen arbeiten, sondern bei unserem Aktivismus immer auch den großen Wandel im Blick behalten sollten. Diese Haltung erfordert eine Portion Zuversicht, Pragmatismus und die Einsicht, dass vieles auf diesem Weg Experimentiercharakter hat. Hier möchten wir auch an uns selbst appellieren, uns unserer Wurzeln zurückzuerinnern und uns auf den widerständigen Geist der Gründung der Jugendumweltbewegung zu besinnen, ohne die zwischenzeitlichen kollektiven Erfahrungen und organisationalen Lernprozesse außer Acht zu lassen. Die Begründer*innen der Jugendumweltbewegung waren mutig genug, einen Systemwandel zu fordern. Traten unsere Vorgänger*innen nicht genau mit dieser Absicht in Aktion, weil sie verkrustete Strukturen aufbrechen und gerechte und ökologische Ideale jetzt leben wollten? All diese Ideen und Ansprüche finden sich heute auch in der Degrowth-Bewegung und ebenso in der repolitisierten Jugendumweltbewegung wieder.
Links
> Broschüre „Wachstum ohne Ende?“ der BUNDjugend, 2012
> Kooperationsprojekt beweg!gründe zwischen BUNDjugend und Naturfreundejugend über Orte des Wandels
> Beweg!gründe – Ein Bildungsfilm über die sozial-ökologische Transformation, von Naturfreundejugend und BUNDjugend, 2016
> Podium „Degrowth, Solidarische Ökonomie und die Gewerkschaften – wie passt das zusammen?“ auf dem SoliKon-Konkgress im September 2015 (mit Janna Aljets)
> WELTbewusst und WELTbewusst erLEBEN, Traditionsprojekte der BUNDjugend zu Konsumkritik, Globalisierung und Postwachstum
Verwendete und weiterführende Literatur
Aljets, Janna (unveröffentlicht, 2016):
Interviews mit Aktiven der BUNDjugend auf der Demonstration „Wir haben es satt“ 2016 und der Transformationsakademie von WELTbewusst 2016. Unveröffentlicht/Privatarchiv.
Bergstedt, Jörg 1998.
Die Jugendumweltbewegung. In: Agenda, Expo, Sponsoring – Recherchen im Naturschutzfilz. Bergstedt, Jörg; Hartje, Jörn; Schmidt, Thomas (Hrsg.). Frankfurt a. M.: IKO Verlag. Zugriff: 6. Juni 2016.
<http://www.projektwerkstatt.de/oekofilz/3_6jugend.pdf>
BUNDjugend 2016.
Beschluss: Das gute Leben für alle: Die BUNDjugend zur Vorreiterin machen. Zugriff: 06.06.2016.
<http://www.bundjugend.de/wp-content/uploads/A_04_-Beschluss_Degrowth.pdf>
BUNDjugend 2013.
Leitantrag der BUNDjugend zur Bundesdelegiertenversammlung 2013. Zugriff: 06.06.2016.
<http://www.bundjugend.de/wp-content/uploads/Leitantrag-BUNDjugend-BDV-2013.pdf>
Hübner, Niko 2015.
Die Postwachstumsökonomie – eine elitäre Utopie? In:
Tree of Hope – Wie wir die Welt verändern können, Handbuch für globales Denken und lokales Handeln. youthinkgreen – jugend denkt um.welt. Bremen: Kellner Verlag. 34-39.
<http://www.bundjugend.de/die-postwachstumsoekonomie-eine-elitaere-utopie/>
Möller, Kurt 2015.
Hol ich mir. Geld, Konsum und Geltung. Berlin: Hirnkost KG.
SWR2 Wissen 2012.
Sein oder Haben? Das Ende der Wegwerfgesellschaft (Interview mit Katharina Ebinger, BUNDjugend Bundesvorstand). Zugriff: 06.06.2016.
<http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/sein-oder-haben/-/id=660374/nid=660374/did=10553896/1wbw1ij/>
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